Zwei Tage nach Beginn der israelischen Großangriffe auf iranisches Territorium bleibt eine Deeskalation in der Region weiter aus. Teheran reagierte in der Nacht mit Raketen- und Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Israel.
Auch in Irans Hauptstadt Teheran war in der Nacht Berichten zufolge wieder die Luftabwehr aktiv. Augenzeugen und örtliche Medien meldeten Explosionen im Zentrum und Nordosten der Millionenstadt. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete, wurde der militärische Teil des Flughafens Mehrabad nahe Terminal 4 von Israel getroffen.
In Israel kamen infolge der iranischen Raketenangriffe Medienberichten zufolge drei Menschen ums Leben. Dutzende weitere hätten Verletzungen erlitten, meldete die „Times of Israel“ am Morgen. Die meisten Raketen seien laut einem Militärsprecher abgefangen worden. Die USA helfen laut unbestätigten Medienberichten Israel bei der Raketenabwehr.
Zuvor hatte Israel in der Nacht zu Freitag massive Angriffe auf iranische Atomanlagen und wichtige militärische Orte gestartet. Nach Angaben des iranischen UN-Botschafter Amir Saeid Iravani wurden dabei mindestens 78 Menschen getötet, darunter hochrangige Militärs und Wissenschaftler. Die überwiegende Mehrheit davon seien jedoch Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, sagte Iravani am Freitag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Über 320 weitere Menschen seien verletzt worden.
Israels Verteidigungsminister: Iran hat rote Linie überschritten
Der Iran habe mit Angriffen auf zivile Ziele eine rote Linie überschritten und werde einen „sehr hohen Preis“ zahlen, drohte Israels Verteidigungsminister Israel Katz. Ein ranghoher israelischer Sicherheitsbeamter wurde in heimischen Medien mit der Aussage zitiert, Israel werde iranische Öl-Anlagen ins Visier nehmen, wenn der Iran Bevölkerungszentren in Israel angreifen sollte.
Der Iran reagierte umgehend auf die Drohungen: Dann würden wichtige Wirtschafts- und Energiezentren in Israel „sofort und weitaus zerstörerischer und verheerender“ angegriffen, schrieb die iranische Nachrichtenagentur Fars. Zuvor hatte bereits Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei auf X geschrieben: „Die Streitkräfte der Islamischen Republik werden diesem verruchten zionistischen Feind gewiss vernichtende Schläge versetzen.“
IAEA: Anlage für Uran-Anreicherung teilweise zerstört
Israel ist die einzige Atommacht in der Region und nahm vor allem Irans Atomprogramm ins Visier. Getroffen wurden nach israelischen Angaben mehr als 100 strategisch wichtige Orte unter anderem in den Millionenstädten Teheran, Tabris und Schiras sowie die Uran-Anreicherungsanlage Natans.
Der oberirdische Teil der Anlage in Natans, in der Uran auf bis zu 60 Prozent angereichert werde, sei zerstört worden, sagte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, im UN-Sicherheitsrat. Für Kernwaffen wird ein Reinheitsgrad von gut 90 Prozent benötigt. Der Iran habe zudem mitgeteilt, dass auch die Atomanlagen in Isfahan und Fordo angegriffen worden seien, sagte Grossi.
Führende iranische Militärs und Wissenschaftler getötet
Laut iranischen Angaben wurden bei dem israelischen Großangriff auch führende Köpfe des eigenen Militärs getötet, darunter der Kommandeur der mächtigen Revolutionsgarden, Hussein Salami, der Generalstabschef Mohammed Bagheri und der Kommandeur der Luftstreitkräfte der Revolutionsgarden, Brigadegeneral Amir Ali Hadschisadeh.
Zudem wurden iranischen Berichten zufolge mindestens sechs führende Wissenschaftler und Professoren aus den Bereichen Nuklearforschung und Physik bei Angriffen auf ihre Wohnungen in Teheran getötet.
UN-Chef fordert Ende der gegenseitigen Angriffe
UN-Generalsekretär António Guterres rief beide Länder eindringlich zur Deeskalation auf. „Israelische Bombardierung iranischer Nuklearanlagen. Iranische Raketenangriffe auf Tel Aviv. Genug der Eskalation“, schrieb er auf X. Frieden und Diplomatie müssten sich durchsetzen.
Warnung vor Flächenbrand
„Noch nie war die Region so nah an einem ausgewachsenen Flächenbrand wie jetzt“, sagte Ali Vaez, Leiter der Iran-Abteilung beim Thinktank International Crisis Group, dem arabischen Sender Al-Dschasira.
Israels Großangriff habe dem iranischen Machtapparat einen schweren Schlag versetzt, „aber das heißt nicht, dass es die Art von Lähmung oder Implosion des Regimes bedeutet, die sich Israel erhofft“, erklärte Vaez. Falls die Opferzahlen weiter steigen und auch in Israel lebende Amerikaner getötet werden sollten, werde es zudem „sehr schwierig“ für die US-Regierung sein, sich nicht stärker in den militärischen Konflikt einzuschalten.
„Wir stehen erst am Anfang“
Israel und andere Staaten wie die USA wollen den Iran am Bau einer Atombombe hindern. Teheran bestreitet, dieses Ziel überhaupt zu verfolgen - und beharrt darauf, Kernenergie allein für zivile Zwecke nutzen zu wollen.
Der israelische Generalstabschef Ejal Zamir erklärte den Großangriff mit Blick auf Irans Atomprogramm so: „Wir haben diese Operation begonnen, weil die Zeit gekommen ist“ – es gebe kein Zurück mehr. „Wir können es uns nicht leisten, auf einen anderen Zeitpunkt zu warten, wir haben keine andere Wahl.“