Es ist der zweite Anlauf. 2017 legte eine von SPÖ und ÖVP geführte Regierung die Grundlage für die Reglementierung der Kleidung muslimischer Frauen. Damals wurde ein Gesichtsschleierverbot als Teil eines Integrationsgesetzes erlassen. Es gab recht wenig Widerstand. Und es dauerte nicht lange, bis die nächsten Regelungen und Gesetze kamen.
Rechts-Rechts-Regierung
Unter der kurzlebigen Kurz-Strache-Regierung von ÖVP und FPÖ (2017-2019) verschnellerte sich das Tempo. In weniger als zwei Jahren wurde zuerst ein Kopftuchverbot im Kindergarten eingeführt, das aufgrund der Nichtexistenz einer muslimischen Haarbedeckung im Kindergarten de facto irrelevant war. Diese Vereinbarung zwischen Bund und Länder war eine temporäre, lieferte aber die Grundlage für ein weiteres Verbot per Gesetz in der Grundschule.
Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache bekundeten damals, dies sei der erste Schritt für eine Ausweitung im Schulbereich von der Sekundarstufe bis hin zum Gymnasium und später dem Universitätsbereich und auch den öffentlichen Dienst.
Aufhebung durch Verfassungsgerichtshof
Dem wurde aber ein Strich durch die Rechnung gemacht. Der Verfassungsgerichtshof nahm sich einer Klage von Betroffenen an und erklärte das Gesetz für verfassungswidrig. Damit wurde dem weiteren geplanten Vorgehen zwischen ÖVP und den Grünen (2020-2024), ein Verbot für Schülerinnen im Sekundarstufenbereich und später für Lehrerinnen zu etablieren, ein Riegel vorgeschoben.
Neuer Anlauf unter Dreierkoalition
Mit der neuen Regierung von ÖVP, SPÖ und den Liberalen (NEOS) gibt es nun einen erneuten Anlauf. Dass es nicht der Partizipation der rechten FPÖ bedarf, um solche Gesetze auf den Weg zu bringen, scheint sich zwischenzeitlich klar und deutlich breit gemacht zu haben. Und so findet sich auch ein Kopftuchverbot in der Schule bis zum 14. Lebensalter im Koalitionsvertrag der ersten Dreierkoalition Österreichs. Besonders ÖVP und NEOS sind mit diesen Forderungen im Wahlkampf hofieren gegangen.
Konservative Politikerinnen wie Claudia Plakolm, ihres Amtes Ministerin für Europa, Integration und Familie, posaunt in die Welt hinaus „Wir sind ein christliches Land“. Das mag zwar nicht mit den anderen eher säkularen Parteien abgesprochen sein, reflektiert aber den christlich-kulturellen Hegemonieanspruch ihrer christdemokratischen Partei.
Garantie einer Verfassungskonformität?
Wie aber soll dieses Mal die Verfassungskonformität eines solchen Verbotes garantiert werden? Dazu schweigen die Regierungsmitglieder bisher noch. Neu ist heute, dass über eine Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe nachgedacht wird. Da fährt der Staat also mit all seinen Disziplinierungsmechanismen auf.
In der Vergangenheit war es der alleinige Fokus auf Musliminnen, der vom Verfassungsgerichtshof als diskriminierend eingestuft wurde. Und ein allgemeines Verbot aller religiöser Kleidungsvorschriften würde nicht zuletzt die Imagination der oft heraufbeschworenen jüdisch-christlichen Harmonie schwer treffen.
Rhetorisch ist der Trick kein neuer: Junge Musliminnen müsse ein „Zugang zu unserer freien Gesellschaft“ und „Selbstbestimmung“ gewährleistet werden. Gegen die „Frühsexualisierung“ sein, hieß es damals unter Kurz und Strache. Dass hier weiße Männer und Frauen versuchen, Angehörigen einer anderen Religionsgruppe zu sagen, was Selbstbestimmung sei, erschließt sich einem kaum. Aber um die intellektuelle Debatte geht es hier ja nicht. Ein paar Floskeln genügen zur Scheinargumentation, um einen neuen Anlauf zu legitimieren.
Liberale Unterstützung
Die Liberalen argumentieren zwar in ihren eigenen Prinzipien gegen gesellschaftliche Zwänge, sehen dann aber eine Ausnahme im Fall des Kopftuchverbotes. So meint der neue liberale Bildungsminister, es sei „extrem schwierig, Zwang von Nichtzwang zu unterscheiden“, wenn es um die religiöse Haarbedeckung gehe. Und weil er sich nicht sicher ist, plädiert er für das Verbot. Da stellen liberale Werte also kaum eine Hürde dar.
„Allen Kindern die Flügel heben“ hieß einer de Leitsprüche des NEOS-Mitgründers Matthias Strolz. Der „liberale“ Vorstoß jetzt klingt eher nach Flügel brechen.
Wohin geht die Reise?
Dieses Verbot reflektiert einerseits die weit verbreitete anti-muslimische Stimmung, die nicht mehr nur in Regierungskreisen, sondern auch im Wahlvolk Niederschlag gefunden hat. Sollte ein solches Verbot kommen, wird es vermutlich wie zuvor eine Klage von Betroffenen geben. Auf der Strecke bleiben die vielen verunsicherten muslimischen Schülerinnen, die von Politik und Lehrkräften eingeschüchtert werden. Wie sehr ein Verbot Übergriffe auf Musliminnen legitimiert, hat die Vergangenheit gezeigt. Tätliche Angriffe hatten zugenommen und die Selbstverständlichkeit, als muslimisches Mädchen öffentlich sichtbar zu sein, wurde kriminalisiert.
Bis ein solches Verbot umgesetzt wird verhärtet sich die gesellschaftliche Stimmung. Kommt ein solches Gesetz, wird ein langer gerichtlicher Streit abgewartet werden müssen.