Am Donnerstag wird Bundeskanzler Friedrich Merz seit seinem Amtsantritt erstmals mit US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus zusammentreffen. Die Reise nach Washington gilt als der bislang bedeutendste außenpolitische Termin seiner noch jungen Kanzlerschaft. Wie Regierungssprecher Stefan Kornelius bekannt gab, sind ein bilaterales Gespräch, ein gemeinsames Mittagessen und eine Pressekonferenz geplant. Ein bemerkenswertes Detail: Trump lässt Merz im Blair House übernachten; ein diplomatisches Signal, das wenigen Gästen zuteilwird.
Doch die Reise ist mehr als Symbolik. Inhaltlich stehen mehrere zentrale Themen auf der Agenda: der Krieg in der Ukraine, der Zustand des transatlantischen Bündnisses sowie die sich zuspitzenden Handelskonflikte zwischen den USA und der Europäischen Union. Dass sich Merz und Trump in den vergangenen Wochen mehrfach telefonisch abgestimmt haben und sich inzwischen sogar mit den Vornamen „Friedrich“ und „Donald“ ansprechen, zeigt, dass beide Seiten um eine funktionierende Gesprächsbasis bemüht sind.
Konflikte auf dem Tisch
Der Krieg in der Ukraine wird im Zentrum des Treffens stehen. Merz hat sich in Europa als Stimme der diplomatischen Deeskalation positioniert. Seine Bemühungen blieben bisher jedoch weitgehend wirkungslos. Der Stillstand in den Verhandlungen sowie die steigenden Opferzahlen frustrieren selbst moderate Stimmen. In Washington wird Merz versuchen, Trump zu mehr Druck auf Wladimir Putin zu bewegen.
Trumps Haltung ist dabei widersprüchlich. Einerseits droht er mit Konsequenzen, sollte Putin weiterhin „mit uns spielen“. Andererseits zögert er mit neuen Sanktionen, weil er befürchtet, eine möglicherweise bevorstehende Einigung zu gefährden. Diese strategische Zurückhaltung sorgt in Europa für Stirnrunzeln. Aus Sicht vieler EU-Hauptstädte lässt sich Russland nur durch eine vereinte und klare Haltung beeindrucken.
Ein weiteres heikles Thema ist die Zukunft der NATO. Trump verlangt von den Mitgliedsstaaten eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Zahl ist für die meisten europäischen Länder politisch und wirtschaftlich kaum realisierbar. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat darauf mit einem Kompromissvorschlag reagiert. Vorgesehen sind 3,5 Prozent für das Militär und 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Infrastruktur.
Merz unterstützt diesen Ansatz. Er signalisiert damit nicht nur Bündnistreue, sondern auch den Willen, Deutschlands Rolle innerhalb der Allianz neu zu definieren. Für Berlin bedeutet das eine Abkehr vom sicherheitspolitischen Minimalismus vergangener Jahrzehnte. Dieser Schritt ist innenpolitisch nicht unumstritten, erscheint außenpolitisch jedoch kaum vermeidbar.
Auch die handelspolitischen Spannungen belasten die Atmosphäre. Trump droht mit massiven Zöllen auf europäische Produkte. Ein Entscheid wurde bis zum 9. Juli vertagt. Merz kann in diesem Kontext vor allem vertrauensbildend wirken. Die eigentlichen Verhandlungen liegen bei der EU-Kommission in Brüssel, doch ein positives Signal aus Washington wäre für die EU-Verhandler von großem Wert.
Europas neue Realität
Die Trump-Jahre haben Europa geopolitisch wachgerüttelt. Die alten Gewissheiten wie der militärische Schutz durch die USA und die politische Rückendeckung im internationalen System gelten nicht mehr uneingeschränkt. Die Münchner Sicherheitskonferenz machte deutlich, dass der globale Süden Europas Strategien inzwischen mit mehr Skepsis als Bewunderung beobachtet.
Indiens Außenminister Jaishankar brachte es offen auf den Punkt, was viele denken. Europa habe lange in einer komfortablen Weltordnung gelebt, nun aber werde es mit einer raueren Realität konfrontiert, in der andere Staaten schon seit Langem agieren. In einem solchen Umfeld kann es sich Europa nicht mehr leisten, außenpolitisch zu zögern oder sich hinter den USA zu verstecken.
Die Reise von Friedrich Merz nach Washington steht exemplarisch für einen Wendepunkt. Deutschland und Europa insgesamt müssen ihre strategischen Partnerschaften überdenken und neue Allianzen schmieden. Länder wie Indien, Brasilien, Südafrika oder auch Türkiye gewinnen als Partner zunehmend an Bedeutung. Entscheidend wird sein, ob Europa lernfähig ist und bereit, den eigenen moralischen Anspruch mit geopolitischer Empathie zu verbinden.
Das bedeutet vor allem weniger Belehrung und mehr Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die kürzlich wieder aufgenommenen Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit dem Mercosur und Indien zeigen, dass dieser Wandel bereits begonnen hat. Ob daraus jedoch eine wirklich neue außenpolitische Linie erwächst, hängt maßgeblich von der politischen Führung in Berlin ab.
Der Besuch von Friedrich Merz in Washington ist kein gewöhnlicher diplomatischer Termin, sondern eine strategische Bewährungsprobe. Trump setzt auf Stärke, auf klare Deals und auf ein kalkuliertes Eigeninteresse. Europa hingegen steht an einem Scheideweg zwischen fortgesetzter Abhängigkeit und neuer Eigenständigkeit.
Ob aus „Friedrich“ und „Donald“ mehr wird als nur eine politische Zweckgemeinschaft, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass die transatlantische Partnerschaft vor einer grundlegenden Neuausrichtung steht. Und Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle.