In Deutschland gibt es etwa 5,5 Millionen Menschen, die dem muslimischen Glauben angehören. Davon haben ungefähr drei Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Anteil der Muslime an der gesamten Bevölkerung liegt bei rund 6,6 Prozent. Damit stellen sie, nach den etwa 45 Millionen Christen (50 Prozent der Bevölkerung), die zweitgrößte Religionsgruppe im Land dar. Laut Einschätzung des Journalisten Tarek Baé sind etwa 2,6 Millionen der Muslime in Deutschland wahlberechtigt. Untersuchungen aus dem Jahr 2021 zufolge soll die Wahlbeteiligung unter Deutschen mit Migrationshintergrund bei ungefähr 65 Prozent gelegen haben. Daraus ließe sich ableiten, dass rund 1,69 Millionen Muslime an Wahlen teilnehmen.
Die Wahlbeteiligung im Jahr 2025 werde deutlich höher eingeschätzt als noch 2021, wobei der genaue Anteil der Muslime daran nicht bekannt sei, heißt es. Insgesamt wird geschätzt, dass Muslime etwa 4,2 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Bei der Bundestagswahl 2021 waren rund 7,9 Millionen Personen mit Migrationsbiographie wahlberechtigt. Dies entsprach etwa einem Drittel (36 Prozent) aller Personen mit Einwanderungsgeschichte und etwa 13 Prozent aller Wahlberechtigten. Die allgemeine Wahlbeteiligung lag bei den diesjährigen Bundestagswahlen mit 82,5 Prozent auf dem höchsten Wert seit der Wiedervereinigung 1990.
Bei Muslimen ist seit längerem ein Wahltrend erkennbar
Bereits bei der Europawahl 2024 konnten das BSW und die bei türkisch- und arabischstämmigen Deutschen beliebte Partei Dava unter muslimischen Wählerinnen und Wählern in Westdeutschland die meisten Stimmen auf sich vereinen. Dies geht aus Daten der Forschungsgruppe Wahlen hervor, die im August vergangenen Jahres von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlicht wurden. Demnach erreichten sowohl das BSW als auch die vor etwa einem Jahr gegründete Dava jeweils 17 Prozent der Stimmen bei Muslimen. Die CDU folgte mit 15 Prozent auf dem dritten Platz.
Mehrheit der Muslime in Deutschland wählt Mitte-Links-Parteien
Am Tag der diesjährigen Bundestagswahl führte das Institut Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF eine Befragung durch, an der auch Muslime teilnahmen. Insgesamt wurden 49.500 Bürgerinnen und Bürger befragt, wem sie ihre Zweitstimme gaben. Der genaue Anteil der muslimischen Teilnehmer an der Studie ist jedoch nicht bekannt, was die Repräsentativität der Ergebnisse einschränken kann.
Bernhard Kornelius vom Meinungsforschungsinstitut Forschungsgruppe Wahlen hat uns die aktuellen Daten, differenziert nach Religion und Konfession, freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Daraus wird ersichtlich, dass muslimische Wählerinnen und Wähler in Deutschland nach wie vor überwiegend linke oder linksliberale Parteien bevorzugen.
Die Linkspartei, die noch vor wenigen Monaten bei drei Prozent dahin dümpelte und nach einer imposanten Aufholjagd im bundesweiten Durchschnitt auf ihre Stimmen fast verdreifachte, gewinnt demnach mit 29 Prozent die meisten Stimmen unter den muslimischen Wählern, dicht gefolgt von der SPD mit 28 Prozent. Das BSW, das bundesweit sehr knapp (13.400 Stimmen) an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, erreicht in der Erhebung 16 Prozent, während die Union nur noch auf zwölf Prozent kommt. Die AfD erhält sechs Prozent und die Grünen liegen bei vier Prozent der Stimmen in dieser Gruppe. Die FDP erzielt unter Muslimen in Deutschland nicht mehr als drei Prozent der Stimmen.
SPD in einer möglichen GroKo als Kontrollinstanz der CDU?
Den wiedergewählten Bundestagsabgeordneten der SPD, Macit Karaahmetoğlu, hat das Wahlverhalten der Muslime in Deutschland nicht sonderlich überrascht. In einem Interview mit TRT Deutsch sagt der Politiker aus Baden-Württemberg: „Auch die Muslime haben mitbekommen, welchen Tabubruch die CDU vor einigen Wochen begangen hat, als sie Vorhaben zur Migrationsbegrenzung mit der AfD gemeinsam durchsetzen wollte.“ Überdies treibe die Gefahr, dass die CDU unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz etwas an den Reformen zur doppelten Staatsangehörigkeit rückgängig machen könnte, viele Menschen muslimischen Glaubens um, so der 56-jährige Sozialdemokrat.
Nahostpolitik war bei Stimmabgabe entscheidend
Die Positionen der Parteien zum Nahostkonflikt scheinen für Muslime ebenfalls eine Rolle gespielt zu haben: SPD und Linke hätten „trotz aller Solidarität mit Israel nach dem 7. Oktober 2023, auf die Unverhältnismäßigkeit der israelischen Angriffe in Gaza hingewiesen“, bekräftigt Karaahmetoğlu.
Muslimische AfD-Wähler: Angst vor neuer Migration?
Was Fragen aufwirft, ist die Unterstützung der AfD durch muslimische Wähler. Denn Karaahmetoğlu zufolge sind Hass und Hetze gegen Muslime ein Kern der AfD-Ideologie. „Dass sich trotzdem einige wenige Muslime finden, die AfD wählen“, sei daher völlig paradox. Es beweise, „wie gefährlich die Manipulationsversuche dieser Partei sind“, so der Politiker.
Die AfD werbe inzwischen gezielt um Muslime sowie Deutsch-Türken und versuche sie gegen andere Zuwanderergruppen auszuspielen. „Dass solche Sachen verfangen, obwohl die AfD sich einen Dreck um diese Menschen schert, zeigt wie verunsichert viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oder anderer Religion inzwischen sind über ihren Stand in unserer Gesellschaft. Wir sollten jeden Tag für ein gesellschaftliches Klima kämpfen, in dem jede Bürgerin und jeder Bürger sich als wichtiger Teil unseres Landes wertgeschätzt fühlen kann, völlig unabhängig der Religion, Herkunft oder anderen Faktoren.“
„Muslime können Wahlen gar nicht mal so unerheblich beeinflussen“
Derweil bewertet Tarek Baé, ein Kenner des islamischen Lebens in Deutschland, das Wahlverhalten der Muslime auf seiner Recherche- und Debattenplattform „Itidal“ folgendermaßen: „Vor allem Positionen der Parteien zum Genozid in Gaza und dem Erstarken der AfD werden für Muslime wichtig gewesen sein.“ Der Journalist mit syrischen Wurzeln rät den Parteien, muslimische Wählerinnen und Wähler „dringend ernster“ zu nehmen. Gerade die Grünen hätten „massiv an Vertrauen eingebüßt“. Er ergänzt: „Zwar ist die AfD extrem unterdurchschnittlich bei Muslimen, aber man kann sehen, dass auch Teile der Muslime von extremer Manipulation betroffen sind.“ Das Fazit des Berliner Publizisten: „Muslime können Wahlen gar nicht mal so unerheblich beeinflussen. Die Frage bleibt nur, ob Parteien die nötigen Schlüsse aus diesen Ergebnissen ziehen.“