Der Begriff des „globalen Dorfs“, geprägt von dem kanadischen Medientheoretiker Marshall McLuhan, versprach einst eine Welt, die durch elektronische Kommunikation enger zusammenrückt. Fernsehen, Internet, soziale Netzwerke – all diese Entwicklungen sollten geografische Distanzen überwinden und Menschen aus verschiedenen Kulturen einander näherbringen. In mancher Hinsicht ist diese Vision Realität geworden: Nie zuvor war es so einfach, sich über Grenzen hinweg zu informieren, auszutauschen und zu vernetzen.
Doch paradoxerweise hat diese engere Kommunikation die Welt nicht zwangsläufig solidarischer gemacht. Während Informationen blitzschnell zirkulieren, wachsen vielerorts die sozialen, politischen und kulturellen Gräben. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Migrationspolitik westlicher Staaten. In den täglichen Nachrichtensendungen von Europa bis Nordamerika dominieren Berichte über „illegale Einwanderung“, „Rückführungen“ und „Grenzschutz“. Migration wird zunehmend kriminalisiert, und Migrant werden zu innenpolitischen Spielbällen degradiert.
Zwischen Abschottung und Alleingängen: Deutschlands neue Grenzpolitik
In Deutschland verschärft die neue schwarz-rote Regierung unter dem Druck rechter Kräfte die Grenzkontrollen, setzt auf Zurückweisungen und verspricht eine Senkung der Asylzahlen. Bundesinnenminister Dobrindt setzt dabei auf Maßnahmen, die rechtlich und moralisch hoch umstritten sind. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich kürzlich deutlich kritisch: „Ich glaube nicht, dass wir die illegale Migration an der deutsch-österreichischen oder deutsch-polnischen Grenze abschließend bekämpfen können.“ Sie warnte vor nationalen Alleingängen, die das Schengen-Abkommen und die europäische Freizügigkeit untergraben könnten. Stattdessen forderte sie, europäische Lösungen zu suchen und den Schutz der EU-Außengrenzen gemeinsam zu organisieren.
Merkels Stimme ist eine von wenigen, die sich dieser besorgniserregenden Entwicklung entgegenstellen. Die politische Rhetorik in Europa entfernt sich zunehmend von einer humanistischen Migrationspolitik und bewegt sich hin zu einer Abschottungslogik, die nicht nur Integration verhindert, sondern bestehende Spannungen weiter verschärft. Besonders perfide ist die Normalisierung dieser Sprache: Rückführungen, Grenzkontrollen und Lager werden als „Notwendigkeiten“ verkauft, während die realen humanitären Konsequenzen selten thematisiert werden.
Studierende als Sündenböcke: Die Abschottungspolitik der USA
Ein ähnlich alarmierendes Bild zeigt sich in den USA. Die Trump-Regierung hat der Eliteuniversität Harvard das Recht entzogen, ausländische Studierende aufzunehmen. Begründet wurde dieser Schritt unter anderem mit dem Vorwurf, Harvard habe jüdische Studierende nicht ausreichend geschützt – eine Behauptung, die ohne klare Belege bleibt. Vielmehr scheint es, dass ausländische Studierende in geopolitische Machtspiele geraten sind. Fast 6.800 internationale Studierende, ein Viertel der Gesamtstudierendenzahl, stehen nun vor der Wahl: Universität wechseln oder Aufenthaltsstatus verlieren.
Gleichzeitig wurden in den letzten Monaten über 4.700 internationale Studierende aus dem SEVIS-System entfernt – oft ohne Erklärung oder Vorwarnung. Diese Maßnahme beraubte junge Menschen nicht nur ihrer Bildungschancen, sondern auch ihrer Existenzgrundlage. Arbeitsmöglichkeiten, soziale Netzwerke, Wohnverhältnisse – all das bricht für viele über Nacht zusammen. Die psychologischen Folgen sind nicht zu unterschätzen: Unsicherheit, Angst, Frustration – eine toxische Mischung, die junge Talente aus aller Welt abschreckt.
Eine geteilte Welt braucht gemeinsame Lösungen
Was haben die USA und Deutschland gemeinsam? Beide demokratischen Staaten, beide mit einem Selbstbild als weltoffene Gesellschaften, beide tief verwurzelt in internationalen Institutionen – und beide auf dem Weg, Migrationspolitik zur innenpolitischen Angstmaschine zu instrumentalisieren. Die eigentliche Gefahr geht nicht von Migration aus, sondern von einer Politik, die Menschen in „wir“ und „sie“ unterteilt, die Zugehörigkeit an Pass oder Herkunft knüpft und mit Angst Stimmen gewinnen will.
Dabei zeigen zahllose Studien, dass Migration Gesellschaften ökonomisch, kulturell und sozial bereichert – wenn sie klug und inklusiv gestaltet wird. Internationale Studierende bringen Wissen, Innovation und Perspektiven mit, die nationale Bildungs- und Forschungseinrichtungen stärken. Geflüchtete, die Schutz suchen, können mit der richtigen Unterstützung produktive Mitglieder der Gesellschaft werden. Was es braucht, ist nicht weniger Migration, sondern mehr politische Courage für eine humane, realistische und zukunftsorientierte Migrationspolitik.
McLuhans Vision des globalen Dorfs ist nicht gescheitert – sie wurde verraten. Sie wurde verraten von politischen Akteuren, die kurzfristige Wahlerfolge über langfristige soziale Kohäsion stellen. Sie wurde verraten von einer Medienlandschaft, die selten die Perspektive der Migrant:innen zeigt, sondern lieber auf Angst und Alarmismus setzt.
Die Welt steht an einem Scheideweg. Entweder wir lassen zu, dass Abschottung, Angst und Ausgrenzung unsere Gesellschaften prägen. Oder wir nutzen die Mittel der globalen Kommunikation, um neue Brücken zu bauen. Migration darf nicht länger als Bedrohung betrachtet werden, sondern als Chance – für Austausch, für Lernen, für Frieden. Was wir brauchen, ist nicht mehr Kontrolle, sondern mehr Empathie. Nicht mehr Mauern, sondern mehr Menschlichkeit.