Der Ukraine-Krieg hatte nicht nur gravierende sicherheitspolitische und politische Auswirkungen auf Deutschland, sondern auch bedeutende Folgen im wirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Bereich. Die erste und wichtigste Feststellung hinsichtlich der Auswirkungen des Krieges auf Deutschland im Energiebereich ist, dass Berlin diesen Prozess sehr schlecht gesteuert hat. Obwohl Moskaus aggressive Politik offensichtlich war, hat Deutschland keinen wirksamen Schritt unternommen, um seine Energieabhängigkeit von Russland zu verringern, und sah sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 mit einer schweren Krise konfrontiert.
Ein Aspekt dieser Krise betraf die Suche nach Möglichkeiten zur Gasversorgung der Industrie und zur Beheizung von Haushalten in den bevorstehenden Wintermonaten, nachdem Russland die Gaslieferungen Ende August eingestellt hatte. Der zweite Aspekt betraf die gesellschaftliche Unruhe, die durch den extremen Anstieg der Energiepreise – als Haupttreiber der Inflation – und in der Folge die stark gestiegenen Lebensmittelpreise ausgelöst wurde.
Energiekrise vorprogrammiert: Deutschlands riskante Importquote
Ein Blick auf die Zahlen zur Energieversorgung Deutschlands vor der Krise zeigt das Ausmaß der Abhängigkeit von Russland. Im Jahr 2021, dem Vorkriegsjahr, entfielen 33,1 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs auf Erdöl, 25,8 Prozent auf Erdgas und 16,8 Prozent auf Kohle. Dagegen lag der Anteil der erneuerbaren Energien einschließlich der Wasserkraft bei 19,5 Prozent und der Kernenergie bei 4,9 Prozent.
Demnach entfielen drei Viertel des deutschen Energieverbrauchs auf fossile Energieträger, und das Land war in diesem Bereich stark vom Ausland abhängig. Russlands Anteil an dieser Abhängigkeit war besonders hoch. 2021 importierte Deutschland 55 Prozent seines Erdgases, 34 Prozent seines Erdöls und 26 Prozent seiner Kohle aus Russland. Trotz der Annexion der Krim im Jahr 2014 und der zunehmenden russischen Interventionen in der Ostukraine blieb Russland Deutschlands wichtigster Energielieferant.
Abkehr von Kernkraft – hin zur Abhängigkeit
In diesem Zusammenhang lassen sich zwei große Versäumnisse Deutschlands benennen. Erstens erkannte Deutschland nicht die Anzeichen der sich anbahnenden Krise mit Russland und hatte bei deren Ausbruch 2022 insbesondere bei der Gasversorgung große Schwierigkeiten. Deutschland hätte zwischen 2014 und 2022 seine Energielieferländer diversifizieren und seine Abhängigkeit von Russland verringern können, tat dies aber nicht.
Zweitens erhöhte Deutschland trotz seiner Abhängigkeit von Russland bei der Erdgasversorgung den Anteil von Erdgas am Energieverbrauch, anstatt auf alternative Energiequellen (Kernenergie, erneuerbare oder LNG) umzusteigen. Im Gegenteil, Deutschland hielt an der Abkehr von Kernkraft und Kohle fest und konnte den Anteil erneuerbarer Energien nicht im nötigen Maß steigern. So stieg der Anteil von Erdgas am Primärenergieverbrauch zwischen 2014 und 2021 von 20 Prozent auf 26 Prozent.
Während einige andere europäische Länder in dieser Zeit verstärkt auf LNG-Importe setzten, versäumte es Deutschland, alternative LNG-Lieferanten zu erschließen – ein schwerwiegender Fehler. Denn nach dem russischen Lieferstopp musste Deutschland teures Gas am Spotmarkt beschaffen und hatte Schwierigkeiten, neue Lieferanten zu finden.
Explosion der Benzinpreise
Eines der deutlichsten Ergebnisse dieser Fehlentscheidungen war der dramatische Anstieg der Kraftstoffpreise infolge des Ukraine-Krieges. So stieg der Preis für einen Liter Benzin von 1,51 Euro im März 2021 auf 2,15 Euro im März 2022. Der Preis für Diesel stieg im gleichen Zeitraum von 1,33 Euro auf 2,18 Euro, der für Heizöl von 65 Cent auf 1,59 Euro.
Während der Benzinpreis in Deutschland in dieser Zeit um ca. 42 Prozent stieg, betrug der Anstieg in Frankreich nur 25 Prozent, in Großbritannien gar nur 15 Prozent – ein klarer Hinweis darauf, dass Berlin die Krise schlechter gesteuert hat. Russlands Aggression gegen die Ukraine hat zwar weltweit eine Krise der Energiepreise ausgelöst, aber einige Länder, wie Deutschland, waren bei der Bewältigung dieser Krise weniger erfolgreich.
Anschlag auf Nord Stream – Berlin zwischen den Fronten
Ein weiteres Thema, das Berlin im Rahmen der Krise mit Russland nicht in den Griff bekam, war die Pipeline Nord Stream. Trotz des Drucks aus Washington und von europäischen Partnern bestand Deutschland auf dem Bau und der Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2, was insbesondere in den USA auf Kritik stieß. Als am 26. September 2022 die Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch einen Anschlag schwer beschädigt wurden, begannen Spekulationen über die Täter. Die Möglichkeit, dass die USA hinter diesem Anschlag stecken könnten, brachte Berlin in eine sehr schwierige Lage. In der Tat hatten einige hochrangige amerikanische Politiker abermals erklärt, dass diese Pipeline verhindert werden sollte.
Unabhängig davon, wer den Anschlag verübte, begann Deutschland ab 2022 verstärkt mit dem Import von LNG, wobei die USA zum wichtigsten Lieferanten wurden. Dass sich die USA auf diese Weise an der Schließung des deutschen Gasdefizits beteiligen, wurde trotz der Nord-Stream-Kontroverse zunächst positiv bewertet.
Im Laufe der Zeit sorgten jedoch der hohe Preis des aus den USA importierten Gases und die Frage, inwieweit man Trump vertrauen kann, der Handelskriege gegen die ganze Welt begonnen hat, für Bedenken und Kritik am amerikanischen Gas. Hinzu kam die harsche Kritik von Umweltverbänden an den Umweltfolgen der Schiefergasförderung in den USA. Auch der Bau teurer Regasifizierungsanlagen für das LNG, das nur als Übergangslösung gedacht war, wurde zunehmend kritisiert.
Russland-Gas durch die Hintertür - Berlin in Erklärungsnot
Wenn Politiker in Berlin über Deutschlands Energieprobleme als Folge des Krieges in der Ukraine sprechen, reden sie natürlich lieber über den Preis, den Europa zahlen muss, um frei zu leben, als über ihr eigenes Versagen. Sie betonten die Legitimität der Sanktionen gegen das aggressive Russland und wiesen darauf hin, dass Moskau seine Energieeinnahmen zur Finanzierung des völkerrechtswidrigen Krieges nutze.
Doch Berichte in den deutschen Medien widersprachen diesen Aussagen. Laut diesen bezieht Deutschland weiterhin auf verschiedenen Wegen Gas aus Russland. So stiegen die russischen LNG-Exporte in die Europäische Union im Jahr 2022 um 35 Prozent, gingen 2023 um 6,1 Prozent zurück und stiegen 2024 wieder um 21 Prozent.
Berichten zufolge spielte das deutsche Staatsunternehmen SEFE eine wichtige Rolle bei diesen Importen, bei denen das LNG in europäischen Häfen regasifiziert und über Pipelines verteilt wird – auch nach Deutschland. Es wird angegeben, dass 3 Prozent bis 9,2 Prozent der gesamten deutschen LNG-Importe 2023 aus russischen Quellen stammten.
Daraus ergeben sich folgende Fragen: Wenn Deutschland weiterhin Gas aus Russland bezieht, warum musste dann die Bevölkerung so stark unter der Krise leiden? Wurden die teuren, in Eile errichteten Terminals nur gebaut, um das nicht mehr über Pipelines gelieferte Gas nun auf anderem Weg zu importieren?