Programmatisch gab die Koalition von SPD, Grünen und FDP (2021-24) vor, mehr Fortschritt zu wagen. Im Hinblick auf die Islampolitik gelang dies nur bedingt. Weitgehend zeichnete sich diese durch eine Fortschreibung gewohnter Muster aus. So schrieb die Regierung einerseits in ihrem Programm die Domestizierung des Islams fort. Insbesondere im Bildungsbereich stand im Zentrum der Islampolitik vor allem die zunehmende Kontrolle der Muslime.
Sie setzte gleichzeitig aber durchaus neue Akzente. Im Hinblick auf „Muslimisches Leben“ hieß es im Programm: „Der zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen begegnen wir durch umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen. Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften und Orte der Begegnung fördern wir“.
Unter dem Titel „Rassismus bekämpfen“ wurde Muslimfeindlichkeit neben anderen Formen von Rassismen erwähnt. Diese Anerkennung der Existenz antimuslimischen Rassismus war bemerkenswert. Und tatsächlich veröffentlichte das Bundesinnenministerium einen Bericht mit dem Titel „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit. Bis dahin ein Novum, auch wenn er wenig Wirkung zeigte. Nicht zuletzt der 7. Oktober 2023 hat zu einer Kehrtwende geführt und die Beziehungen des Staates zur muslimischen Bevölkerung unter Druck gesetzt.
Rauer Wind bei „Großkoalition“
Die Koalition von Unionsparteien und SPD tritt ihr Amt unter neuen Vorzeichen und damit einhergehenden politischen Vorstellungen an. Vor dem Hintergrund der intendierten Aufrüstung, der fortschreitenden Militarisierung, der Einführung von Grenzkontrollen, der Beendigung von Familienzusammenführungsprogrammen und der Abschiebung mancher Geflüchteter nach Syrien und Afghanistan gibt ein harter Law-and-Order-Gang den Rahmen vor. Das spiegelt sich auch im Bereich der Islampolitik wider.
Kein „Islam“ - Stattdessen „Islamismus“
Es ist nicht zu bedauern, dass die Regulierung des Islams per se keine Erwähnung findet im Regierungsprogramm. Es bedeutet aber nicht, dass die seit zwei Jahrzehnten existierende Islampolitik, die stark mit der Sicherheitspolitik verwoben ist, damit ein Ende findet. Die Verwaltung religiöser Fragen wird vermutlich ohnehin weitergehen und ist den üblichen Disziplinierungsmechanismen unterworfen.
Es ist aber bemerkenswert, dass das Wort Islam kein einziges Mal, hingegen die Abwandlung Islamismus drei Mal im Koalitionsvertrag aufscheint. So wird einmal Islamismus im Zusammenhang mit „verfassungsfeindlichen Bestrebungen und ... Gewalt“ erwähnt. Ein anderes Mal wird die Errichtung einer „Task Force Islamismusprävention“ als ständiges Gremium im Bundesinnenministerium verkündet. Diese soll von einem Bund-Länder-Aktionsplan begleitet werden. Zusammengefasst also wird „Islam“ in seinen Abwandlungen als problematisches Sicherheitsproblem gerahmt.
Das ist vor dem Hintergrund zweier weiterer Aspekte besonders auffällig; einerseits dem Schweigen zum anti-muslimischen Rassismus und andererseits dem Fokus auf den Schutz des Christentums.
Kein Anti-Rassismus
Von Muslimen als zu schützende Subjekte ist im gesamten Koalitionsvertrag keine Rede. Es wird zwar eine Neuauflage des Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus angesprochen. Explizit erwähnt werden Muslimfeindlichkeit oder Abwandlungen wie Islamophobie und antimuslimischer Rassismus hier jedoch nicht. Bei den Aufzählungen, wem Kampf angesagt werden soll, heißt es vielmehr, dass „Rassismus, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit … keinen Platz an Schulen und Hochschulen“ hätten.
Antisemitismus wird ganze zwölf Mal angesprochen. Die Abwesenheit von antimuslimischem Rassismus und die Hereinnahme einer Feindschaft gegenüber dem Staat Israel in Hinzufügung zu Antisemitismus ist bemerkenswert und veranschaulicht, wie sehr das Pendel in den letzten 16 Monaten umgeschlagen ist. Einseitige Solidarität und außenpolitische Prioritäten stehen über dem auch nur rhetorischen Versuch, sich für das Wohlbefinden von Muslimen einzusetzen, wie unter der Ampel-Koalition. Die Existenz von Islamophobie wird ganz einfach unterschlagen.
Dabei hat die Grundrechteagentur der Europäischen Union erst im Oktober 2024 einen Bericht veröffentlicht, der Deutschland nach Österreich als Spitzenreiter in Sachen Diskriminierungserfahrungen von Muslimen zeichnet: Bei einem Durschnitt von 47 Prozent von muslimischen Personen, die rassistischer Diskriminierung erleben, stach Österreich mit 71 Prozent als Spitzenreiterin gefolgt von Deutschland mit 68 Prozent besonders hervor. Ein Schweigen zum anti-muslimischen Rassismus wird diese Erfahrung nur mehr normalisieren und legitimieren.
Christliche Ausrichtung der Außenpolitik
Während die deutsche Regierung nicht so weit geht wie andere rechte Regierungen in Europa, die mit der Eigenbezeichnung „christlich“ den Versuch einer christlichen-identitären Namenspolitik versuchen, ist eines doch bemerkenswert: Während bei der Ampel-Koalition jeder Verweis auf das Christentum noch fehlte, schlägt der Koalitionsvertrag von CDU/CSU-SPD vor, dass Christen die „weltweit größte verfolgte Gruppe“ seien und reiht sich somit in einen sich ausbreitenden Trend in christlich-fundamentalistischen Kreisen ein.
Damit wird auch die Fortsetzung der Arbeit des Beauftragten für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit legitimiert. Religionsaußenpolitik also unter dem Vorzeichen des Schutzes von Christen denn als Schutz der Religion von allen?
Wohin geht die Reise?
Vor dem Hintergrund der außenpolitischen Fortschreibung der alten Regierungspolitik verhärtet sich damit dieser Kurs noch mehr und schreibt sich programmatisch fest. Islamophobie wird nicht anerkannt und einseitige Solidarität festgeschrieben. Der Islam ist in erster Linie ein Sicherheitsproblem.
Das wiederum wird dem Narrativ der rechtspopulistischen AfD dienen, die in Umfragen derzeit gleichauf bis leicht vor den Wahlsiegern der Union liegt. Wie aus Studien zur Dynamik des Rechtspopulismus in Westeuropa bekannt ist, geht die Wählerschaft am Ende des Tages zum Schmied und nicht zum Schmiedl, welcher die harten Forderungen der Rechten in abgeschwächter Form repräsentiert. Dabei ist die AfD nicht die Ursache des Problems, sondern lediglich eine radikalisierte Fortführung staatstragender Islampolitik.
Gerade aber das Schweigen über anti-muslimischen Rassismus einhergehend mit rassistischen Rahmungen von Muslimen wird die offene Islamfeindlichkeit von Regierungspolitikern wie auch von Oppositionsparteien wie der AfD legitimieren.