Nach den relativ schnellen Wahlen in Deutschland wird nun auch eine zügige Regierungsbildung erwartet. Friedrich Merz, der wahrscheinlich als neuer Regierungschef fungieren wird, steht vor ernsthaften Problemen und äußerst wichtigen Aufgaben. Eine der größten Herausforderungen für Merz wird der Umgang mit der russischen Aggression sein – eine Frage, die bereits die Regierung Scholz erheblich belastet hatte.
Nun, da die US-Regierung unter Donald Trump die gemeinsame Haltung des westlichen Bündnisses gegenüber Russland aufgegeben und die Europäer im Umgang mit Putin sich selbst überlassen hat, ist die schwierigste Aufgabe der neu zu bildenden Bundesregierung die Festlegung einer Strategie gegenüber Russland geworden. Noch wichtiger ist, dass Merz in dieser Frage die Führung innerhalb der Europäischen Union übernehmen und eine einheitliche europäische Reaktion sicherstellen muss. Denn es mehren sich die Stimmen, die fordern, dass Deutschland Europa führen soll.
Militärischer Rückstand erschwert Deutschlands Führungsrolle
Die Führungsrolle Deutschlands in Europa wird jedoch nicht einfach sein, da zahlreiche Faktoren dies erschweren. Zwar ist Deutschland mit seiner Wirtschaft die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, doch sein relativer militärischer Rückstand erschwert es sowohl globalen Rivalen als auch europäischen Staaten, Berlin ernst zu nehmen. In der heutigen Welt, in der militärische Macht in den internationalen Beziehungen eine immer größere Rolle spielt, wird dies zum entscheidenden Faktor.
Um Russlands expansionistische Politik in der Ukraine einzudämmen, war militärische Stärke erforderlich. Auch für eine starke Verhandlungsposition in der Diplomatie ist militärische Macht unerlässlich. Und jetzt, da die USA sich darauf vorbereiten, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine zurückzuziehen, wird für die Europäer eine starke Verteidigungsfähigkeit umso wichtiger, um zu verhindern, dass Putin als ein Machthaber wahrgenommen wird, der seine Ziele mühelos mit militärischer Gewalt durchsetzen kann. Militärische Macht ist auch notwendig, um die osteuropäischen Länder zu unterstützen und zu beruhigen, die befürchten, dass sie als nächstes an der Reihe sind. Dass einige von ihnen, wie Ungarn und die Tschechische Republik, ihren Blick eher auf Washington als auf Berlin und Paris richten, liegt an der militärischen Schwäche Europas.
Wie die neue Bundesregierung auf diejenigen, die „von Deutschland eine Führungsrolle erwarten“, reagieren wird, wird zweifellos eine der wichtigsten Fragen der kommenden Zeit sein. Es gilt mittlerweile als sicher, dass Deutschland seine Militärausgaben in der neuen Legislaturperiode erhöhen wird. Dass Merz nicht mit den Grünen, sondern mit der SPD koalieren wird, wird die Politik der neuen Bundesregierung in diesem Bereich beeinflussen.
Denn während der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, eine Erhöhung der Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIP anstrebte, hielt der Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, das 2-Prozent-Ziel für ausreichend. Merz selbst hat sich ebenfalls eher an das 2-Prozent-Ziel angelehnt, doch CSU-Chef Markus Söder fordert eine Erhöhung auf über 3 Prozent. Neben der Frage, wie hoch die Militärausgaben sein werden, wird auch das Problem der Finanzierung dieser Ausgaben ein zentrales Thema der Koalitionsverhandlungen sein.
Führungsrolle erfordert wirtschaftliche Unabhängigkeit
Eine Führungsrolle in Europa erfordert neben militärischer Stärke auch wirtschaftliche Unabhängigkeit von den USA. Denn die Supermacht auf der anderen Seite des Atlantiks mit ihrem „America first“-Slogan wird von einem Staatschef angeführt, der die Interessen seines eigenen Landes über alles stellt und nicht zögert, allen Ländern mit Sanktionen zu drohen. Ein Land, das Europa anführen will, muss sich wirtschaftlich gegen Trump und sein Team behaupten, die Dänemark wegen Grönland unter Druck setzen, rechtsextreme Parteien in Europa unterstützen und europäische Länder mit hohen Zöllen bedrohen. Doch obwohl Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, bleibt es mit einem BIP, das nur ein Sechstel des US-amerikanischen und ein Fünftel des chinesischen beträgt, weit hinter diesen beiden Mächten zurück.
Darüber hinaus macht die Tatsache, dass die USA einen sehr hohen Anteil von 10,3 Prozent an den deutschen Exporten haben und Deutschland einen Handelsüberschuss von 70 Milliarden Euro mit diesem Land hat, Berlin gegenüber Washington verwundbar. Der Anteil Deutschlands an den US-Exporten liegt dagegen bei 3,8 Prozent. Obwohl Deutschland bei den Exporten nicht so stark von den USA abhängig ist wie Mexiko (80,9 Prozent) und Kanada (75,8 Prozent), bedrohen die von Trump angedrohten Zollanhebungen die deutschen Exporte in dieses Land, die im Jahr 2024 161 Milliarden Euro erreichten.
Handelsstaat Deutschland zunehmend in Konflikten verwickelt
Handelsstaaten ziehen in ihren internationalen Beziehungen Diplomatie und Dialog den Spannungen und Konflikten vor. Es scheint jedoch, dass Deutschland als klassische Handelsnation zunehmend in geopolitische Spannungen und Konflikte verwickelt wird. Wie sich dieser Spannungs- und Konfliktprozess, der zunächst mit Russland begann, auf der US-Bühne abspielen wird, wird eine der größten Herausforderungen für die neue deutsche Regierung sein.
Die Zeit wird zeigen, wie Merz, der die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen hat, die deutsche Wirtschaft aus der Krise zu führen, dieses Versprechen angesichts der gleichzeitigen Spannungen mit Russland und den USA umsetzen wird. Ein weiterer entscheidender Faktor wird die Richtung der Beziehungen zu einer anderen globalen Macht – China – sein.
Deutschland in einem Dilemma
Deutschland befindet sich hier in einem ernsten Dilemma. Nachdem es unter Biden und dem Einfluss atlantischer Kreise in Europa seine traditionell vorsichtige Haltung gegenüber Russland aufgegeben hat, bleibt abzuwarten, ob Deutschland unter Trump nun auch seine Beziehungen zu China riskiert. Es ist jedoch anzumerken, dass eine Annäherung an die US-Politik gegenüber China nicht nur das Risiko einer Verschlechterung der Beziehungen zu Peking mit sich bringt, sondern auch positive Auswirkungen auf die Beziehungen zu Washington haben könnte.
Ein möglicher Akteur, auf den sich die neue deutsche Regierung angesichts dieser Herausforderungen stützen könnte, ist die Europäische Union. Es ist unbestritten, dass die Unterstützung der europäischen Integration für Deutschland bisher viele wirtschaftliche und politische Vorteile gebracht hat. Allerdings ist zu erwarten, dass atlantisch orientierte Kreise innerhalb der EU es Deutschland eher erschweren als erleichtern werden, sich gegenüber Washington zu behaupten.
Damit verbleiben für Berlin vor allem die sogenannten „Europäer“, die die EU als eine Gemeinschaft von Werten wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten betrachten. Doch auch diese Werte haben in einer Welt, die zunehmend von Machtpolitik bestimmt wird, in den letzten Jahren stark an Bedeutung verloren. Dass Friedrich Merz erklärte, der israelische Premierminister werde während eines möglichen Deutschland-Besuchs nicht verhaftet werden, obwohl der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen ihn wegen Kriegsverbrechen in Gaza erlassen hat, ist ein offener Affront gegen das Völkerrecht und eine klare Positionierung zugunsten von Machtpolitik. Diese Haltung wirft die Frage auf, um welche Werte herum die neue deutsche Regierung, die als führende Kraft in Europa erwartet und gewünscht wird, Europa zu vereinen gedenkt.