Es sind neun Jahre vergangen, seit Panzer über die Bosporus-Brücke rollten und Kampfjets auf Zivilisten feuerten. Der 15. Juli markiert den Jahrestag eines vereitelten Putschversuchs, der das kollektive Gedächtnis der Republik Türkiye tief geprägt hat – politisch wie gesellschaftlich.
Die Putschisten töteten 253 Menschen, viele davon Zivilisten. Sie rückten mit gepanzerten Fahrzeugen an und schossen mit Maschinengewehren auf das Volk, das sich gegen den Putschversuch stellte. Wer in jener Nacht in Istanbul war, erinnert sich an das beklemmende Gefühl, als tieffliegende Kampfjets die Schallmauer durchbrachen.
Dennoch strömten Hunderttausende Menschen auf die Straßen der Großstädte wie Ankara und Istanbul, als sich abzeichnete, dass ein Teil des Militärs die demokratisch gewählte Regierung stürzen wollte. Sie setzten sich mit allem zur Wehr, was sie finden konnten: mit Steinen, Stöcken – und Schuhen.
Blutige Putschnacht
Aufnahmen von Mobiltelefonen verbreiteten sich rasch in den sozialen Medien: Ein Mann wurde von einem Panzer überrollt, als er sich ihm in den Weg stellte. Eine Frau wurde erschossen. Polizisten wurden bei der Verteidigung ihrer Posten getötet.
Die Putschisten bombardierten das Parlament in Ankara und versuchten, Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu töten oder zu entführen. Er konnte dem Mordkommando knapp entkommen.
In den Wochen nach dem vereitelten Putsch sammelten türkische Staatsanwälte Beweise, die den FETÖ-Anführer Fetullah Gülen als Drahtzieher identifizieren konnten. Gülen starb 2024 in den USA, wo er bis dahin beherbergt worden war.
Ein Volk im Wandel
Die politische Geschichte der Republik Türkiye ist von mehreren Militärputschen geprägt. So wurde etwa der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident des Landes, Adnan Menderes, ein Jahr nach dem Putsch von 1960 hingerichtet.
Doch 2016 stand das Militär einem Volk gegenüber, das sich sein demokratisches Mitspracherecht hart erkämpft hatte. Türkiye hatte in jener Nacht viel zu verlieren.
Der Mut der Bevölkerung stieß international jedoch nicht überall auf Anerkennung. Während westliche Staaten Jahre zuvor den „Tank Man“ am Tiananmen-Platzes in China gefeiert hatten, blieb die Reaktion auf die Opfer des Putschversuches in Türkiye verhalten. NATO-Partner zögerten mit der Verurteilung des Putschversuches – ein Umstand, den auch der damalige US-Vizepräsident Joe Biden bei seinem Besuch in Türkiye einen Monat später einräumte.
Für Ankara, das eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Terrormiliz Daesh spielte und Millionen syrischer Geflüchteter aufnahm, war dieses Schweigen ein Zeichen des politischen Versagens.
Als in den Folgemonaten die juristische Aufarbeitung begann, äußerten EU-Abgeordnete Kritik an den Verfahren während des Ausnahmezustandes. Dies führte zu weiteren Spannungen.
Die USA als traditioneller Verbündeter von Türkiye seit dem Zweiten Weltkrieg zeigten wenig Bereitschaft, gegen Gülen zu ermitteln. Anträge Ankaras für die Überstellung Gülens blieben trotz umfangreicher Unterlagen, die nach Washington geschickt wurden, unbeantwortet.
Gülen lebte bis zu seinem Tod unbehelligt im US-Bundesstaat Pennsylvania, seine Netzwerke in den USA blieben weitgehend unangetastet.