POLITIK
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Russlandpolitik: Ein „weiter so“ reicht nicht
An der deutschen Russlandpolitik wird der Regierungswechsel in Berlin wenig ändern. Dabei wären neue Impulse möglich und für Frieden nötig.
Russlandpolitik: Ein „weiter so“ reicht nicht
Russlandpolitik: Ein „weiter so“ reicht nicht. / Foto: Thomas Lohnes / Stringer / via Getty Images
26. Mai 2025

Mit dem Ausspruch „Russland wird immer ein Feind für uns bleiben“ hat der neue deutsche Außenminister Johann Wadephul erst vor wenigen Wochen Schlagzeilen gemacht. Liegt der Fokus der Russlandpolitik der frisch gewählten deutschen Bundesregierung noch stärker als der der Ampel vor allem auf einer Fortsetzung der Konfrontation? Wadephul ist Reserveoffizier und gilt als russlandkritisch. Eine große Bedeutung der Sicherheitspolitik gegenüber Russland angesichts des andauernden Ukrainekriegs ist naheliegend.

Doch mit großen Änderungen der deutschen Russlandpolitik wie zuletzt 2022 nach dem Beginn des Ukrainekriegs durch den Regierungswechsel nicht zu rechnen. Schon Wadephuls Amtsvorgängerin Annalena Baerbock galt innerhalb des alten Kabinetts als Hardlinerin, die schon 2023 aussagte, „wir führen einen Krieg gegen Russland“.  Eine Aussage, die ein gefundenes Fressen für die Pressemaschinerie des Kremls war und von der sie sich teilweise wieder distanzieren musste.

Deutschlands Russlandpolitik im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen

Deutsche Außenpolitik wird nicht nur vom Auswärtigen Amt bestimmt. Sie erfolgt, wie die Regierung selbst betont, in enger Abstimmung mit den EU-Partnern. Dort gibt es kompromisslose Hardliner in der Auseinandersetzung mit Russland, wie im Baltikum und Skandinavien, wo man sich vom mächtigen Nachbarn existenziell bedroht fühlt. Es gibt aber auch Staatschefs, die auf Verhandlungen mit dem Kreml setzen, um den Ukrainekrieg mit einem Kompromiss zu beenden, wie Robert Fico oder Viktor Orban. Das Ergebnis aus beidem ist als Gesamtkurs eine Kombination aus Unterstützung der Ukraine, für Moskau unattraktiven Vorschlägen, aber auch der Bemühung, die Eskalation mit Russland nicht zu stark zu befeuern.

Auch die Stimmungslage in den deutschen Regierungsparteien hat Einfluss auf den Russlandkurs. Hier sieht sich die CDU-Führung mit einer lauten Minderheit in östlichen Landesverbänden konfrontiert, die wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmer um offene Gesprächskanäle nach Russland und Kompromisse bemüht ist. Der SPD geht es nicht anders. Anhänger der traditionellen sozialdemokratischen Ostpolitik plädieren für Verhandlungen oder führen sie sogar selbst, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner und der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck bei einem Treffen mit russischen Vertretern in Baku. Dieser Flügel der Partei hat beim Russlandthema durchaus Rückhalt an der Parteibasis. Dass beide Gruppen von ihren Gegnern als „Moskau Connection“ diffamiert werden zeigt, dass auch antirussische Falken sie nicht ignorieren können.

Taurus-Debatte: Merz’ Kurswechsel zwischen Eskalationsangst und Abschreckung

Dass diese mäßigenden Faktoren Einfluss auch auf Bundeskanzler Merz haben, zeigt sich am Streit um die Lieferung des deutschen Waffensystems Taurus nach Kiew. Sie ist besonders umstritten, da sein einziger Verwendungszweck durch die Ukraine die Zerstörung von Zielen tief im russischen Hinterland ist, mit wesentlich weniger möglicher Gegenwehr als bei den aktuellen Drohnenangriffen. Bei den Gegnern der Lieferung durch Deutschland ist hier die Angst vor einer direkten Eskalation zwischen Deutschland und Russland groß, etwa durch eine Ausweitung hybrider Angriffe. Sie besteht unzweifelhaft nach einer Zerstörung prominenter russischer Ziele.

Merz galt dennoch vor seinem Amtsantritt als Bundeskanzler als kämpferischer Verfechter einer sofortigen Taurus-Lieferung an Kiew. Nun klingt er komplett anders und verkündete erst vor einer Woche in einer Talkshow ein Ende der Debatte über dieses Thema. Dieses wird nicht kommen und als Drohkulisse gegenüber Moskau ist das der Bundesregierung durchaus recht. Zu rechnen ist mit einer tatsächlichen Taurus-Lieferung jedoch nur nach einer weiteren Eskalation von russischer Seite im Krieg, die man hart beantworten möchte.

Balanceakt zwischen Prinzipien und Wirtschaftsinteressen

Was im Bereich der Sicherheit gegenüber Russland gilt, gilt für die Wirtschaftspolitik nicht minder. Berlin wird sich im europäischen Rahmen weder als Bremser noch als Beschleuniger der aktuellen Brüsseler Sanktionspolitik hervortun. Man ist auf Ausgleich zwischen den Flügeln des Staatenbundes bedacht mit dem Ziel einer möglichst großen Einheit Europas. Hinter diesem stehen beide Regierungsparteien traditionell.

Zu bedenken ist dabei, dass die Exportnation Deutschland, wirtschaftlich aktuell gebeutelt, durch den weitgehenden westlichen Abbruch des Russlandhandels die größten Verluste zu verzeichnen hatte. Russland war 2021 außerhalb der EU der viertwichtigste Importpartner und fünfwichtigste Abnehmer deutscher Waren. Würde man sich als besonders harter Vertreter immer neuer westlicher Sanktionen hervortun, würde das die Chancen einer erfolgreichen Rückkehr deutscher Unternehmen auf den russischen Markt bei einer späteren Entspannung vermindern.

Warum Berlin mehr als nur Härte wagen sollte

Generell nutzt die Bundesregierung aber nicht ihre Möglichkeiten, als früher wichtigster Handelspartner Russlands sich selbst politisch in Verhandlungen und mit Kompromissvorschlägen um ein Ende des Ukrainekriegs zu bemühen. Zu mächtig ist immer noch nach dem Beginn den Krieges 2022 die Ansicht im Berliner Politestablishment, dass Kompromisse mit dem Kreml zeitgleich eine Art von Verrat an der Ukraine sind. Diese Unterstellung schlug bereits Ex-Kanzler Scholz nach Putin-Telefonaten im Herbst 2024 entgegen.

Deutlich vor Augen hat man hierbei das etwas unbeholfene Wirken der Trump-Administration in Verhandlungen mit Moskau, die russischen Positionen sehr weit entgegenkommt, aber dennoch für einen realen Waffenstillstand wenig erreicht. Putin nutzt die Washingtoner Verhandlungsshow für unverbindliche freundliche Worte, denen aber nichts folgt. Deutschland verkennt dabei aber, dass nicht die USA, sondern Europa und dort insbesondere die Deutschen vor dem Krieg die wichtigsten Wirtschaftspartner Russlands waren. Dass auch der Kreml erkennt, dass sich seine Wirtschaft nur vorübergehend aufgrund Rüstungsproduktion und Rücklagen als robust gegen Sanktionen erwies, nun aber durch eine hohe Inflation, einen großen Arbeitskräftemangel, niedrige Ölpreise und Rekordzinsen immer mehr in Schieflage gerät. Nur weiter Krieg ist auch für Moskau keine gute Aussicht. Der Friedenswille vieler Russen steigt.

Deutsche Russlandpolitik ist nichts für Blauäugige. Putin und das russische Politestablishment gehen in ihrer ultrakonservativen Haltung nur auf Kompromisse ein, die sie für absolut nötig erachten. Solche Kompromisse können aber für Moskau nun notwendig werden und in einer Vereinbarung mit Europa und insbesondere Deutschland wäre für Russland wirtschaftlich viel mehr zu gewinnen als mit den USA. Dazu kommt, dass Europa als wirtschaftlicher Partner für Russland verlässlicher ist, als die sprunghafte US-Regierung unter dem „Zollkönig“ Donald Trump.

Die Alternative, gegenüber Moskau nur Härte zu zeigen, mag für die den eigenen Moralkompass der deutschen Politikprominenz wohltuend sein. Sie bedeutet aber zum einen, dem Kreml Material für die Darstellung zu liefern, dass der Westen ohnehin nur Russland zerstören will. Sie bedeutet auch zum anderen - das ist viel wichtiger - jeden Tag neuen Tod und Zerstörung in der Ukraine. Beide betreffen vor allem die Ukrainer, die man damit stützen will.

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