In der vergangenen Woche versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) in Brüssel zu einem bedeutenden Gipfeltreffen, das sich mit der Unterstützung der Ukraine und der Stärkung der europäischen Verteidigung befasste. Die Rückkehr von Donald Trump als US-Präsident, der bereits in seinen ersten öffentlichen Aussagen die Europäische Union offen ins Visier nahm, sowie sein kürzlicher Streit mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weißen Haus versetzen Europa in wachsende Unsicherheit und existenzielle Sorge.
Russlands Angriff auf die Ukraine ist für Europa längst nicht mehr ein Krieg, der nur an seinen östlichen Rändern tobt, sondern stellt eine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit des gesamten Kontinents dar. Mit dem 800 Milliarden Euro schweren „ReArm Europe“ will die EU ihre Verteidigungsfähigkeiten stärken und die Abhängigkeit von externen Akteuren, insbesondere den USA, verringern.
Doch genau hier liefert der neue Bericht des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) brisante Erkenntnisse: Die EU will sich unabhängig machen, aber laut Bericht steigt die Abhängigkeit europäischer NATO-Staaten von den USA in dramatischem Ausmaß. Während die USA zwischen 2015 und 2019 noch 52 Prozent aller Waffenimporte der europäischen NATO-Länder lieferten, waren es zwischen 2020 und 2024 bereits 64 Prozent.
Noch bemerkenswerter ist, dass im gleichen Zeitraum Türkiye zu einem der wichtigsten Akteure der globalen Rüstungsindustrie aufgestiegen ist. Laut SIPRI hat Türkiye seine Waffenexporte massiv erhöht und gleichzeitig ihre Importe deutlich gesenkt. Diese Entwicklungen werfen eine zentrale Frage auf: Wenn die EU einerseits eine unabhängige Verteidigungspolitik verfolgen will und andererseits Türkiye als aufstrebende Rüstungsmacht zunehmend global agiert – warum findet dieses Türkiye in Europas Sicherheitsstrategie keinen Platz?
Türkiye: Aufstieg zur globalen Verteidigungsmacht
In den vergangenen Jahren hat sich Türkiye nicht nur militärisch, sondern auch technologisch und diplomatisch zu einer ernstzunehmenden Verteidigungsmacht entwickelt. Laut SIPRI ist Türkiye zwischen 2020 und 2024 zum elftgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen und konnte seine Exporte um ganze 103 Prozent steigern. Gleichzeitig sanken die Waffenimporte von Türkiye im gleichen Zeitraum um 33 Prozent.
Vor allem in den Bereichen Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge, Raketen und Luftverteidigungssysteme hat Türkiye eigenständige, hochmoderne Systeme entwickelt, die nicht nur ihre eigene Verteidigungsfähigkeit gestärkt, sondern auch die Dynamik auf globalen Kriegsschauplätzen verändert haben. Modelle wie Bayraktar TB2 und Akıncı wurden in Konflikten von Libyen über Karabach bis in die Ukraine eingesetzt und haben Türkiye als Marke der globalen Rüstungsindustrie etabliert.
Während die Europäische Union in den letzten 15 Jahren zunehmend in die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA geraten ist, verfolgt Türkiye eine eigenständige und flexible Rüstungspolitik, baut die eigene Produktion aus und senkt Importe nachhaltig.
Die Exportmärkte von Türkiye und sein geopolitischer Einfluss
Türkiye exportiert längst nicht mehr nur für den Eigenbedarf, sondern ist zu einem wichtigen Partner für befreundete und verbündete Staaten geworden. Zu den größten Abnehmern gehören die Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistan und Katar. Besonders auffällig ist der wachsende Einfluss von Türkiye in Afrika: Dort konkurriert Ankara zunehmend direkt mit Frankreich, China und Russland um Einfluss – insbesondere in Westafrika.
Türkiye liefert Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge und Raketensysteme, die das militärische Kräfteverhältnis in der Region entscheidend verändern. Dies ist nicht nur ein wirtschaftlicher Erfolg, sondern auch ein Instrument der türkischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Die EU will sich bewaffnen – doch ignoriert Türkiye
Auf dem Brüsseler Gipfel einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs, dass Luft- und Raketenabwehr, Drohnen, elektronische Kriegsführung, Cybersicherheit und künstliche Intelligenz künftig im Zentrum der europäischen Verteidigungspolitik stehen sollen.
Dabei wird vergessen, dass Türkiye in genau diesen Bereichen bereits weltweit anerkannte und eingesetzte Systeme entwickelt hat. Erst kürzlich schloss Baykar, der Hersteller der berühmten Bayraktar-Drohnen, eine weitreichende Kooperation mit dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo. Künftig sollen in Italien gemeinsam Drohnen produziert werden, die Baykars hochmoderne KI-Systeme mit Leonardos Technologie kombinieren. Beide Unternehmen wollen zudem in der Raumfahrt zusammenarbeiten.
Während die EU Milliarden ausgeben will, um diese Technologien mühsam aufzubauen, könnte eine strategische Partnerschaft mit Türkiye kostengünstige, sofort verfügbare Lösungen bieten.
EU und Türkiye: Zeit für einen neuen Dialog
Das 800 Milliarden Euro schwere Rüstungspaket und die geplante gemeinsame Verschuldung von 150 Milliarden Euro sind zweifellos historisch. Aber ohne Türkiye bleiben diese Pläne unvollständig und ineffizient. Statt auf existierende Kapazitäten von Türkiye zurückzugreifen, droht Europa, sich in teuren und langwierigen Projekten zu verlieren.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan warnte jüngst: „Wir wollen die Beziehungen zur Europäischen Union auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und gemeinsamer Interessen weiterentwickeln. Wir erinnern die EU erneut daran: Türkiye ist die letzte Ausfahrt vor der Brücke.“
Wer also schnelle Antworten auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen sucht, muss sich der Realität stellen: Ohne Türkiye kann Europa seine sicherheitspolitische Autonomie nicht erreichen.
Darüber hinaus bietet Türkiye mit seiner erfolgreichen Strategie zur Reduzierung der Importabhängigkeit ein Vorbild für Europa, wie man sich aus der Dominanz eines großen Partners befreien kann – ein Ziel, das die EU gegenüber den USA selbst erreichen möchte.
Türkiye ist geografisch und politisch ein unverzichtbarer Partner für Europa. Seine Rolle in den Krisen in Syrien, Libyen, Karabach sowie im Ukraine-Krieg zeigt: Ohne Ankara gibt es keine europäische Sicherheit.
Europa soll aufhören, Türkiye durch die Brille alter Vorurteile zu betrachten. Die Beziehungen dürfen sich nicht nur um Migration, Menschenrechte oder Handelsfragen drehen. Vielmehr muss die EU Türkiye als strategischen Verteidigungspartner anerkennen.
Europa braucht Türkiye – jetzt mehr denn je
Die EU steht an einem Wendepunkt. Wenn sie wirklich souverän und verteidigungsfähig sein will, muss sie Türkiye in ihre Sicherheitsarchitektur einbinden. Ankara ist heute keine Randfigur mehr, sondern ein zentraler Akteur, der Europa in einer Welt voller Unsicherheiten Stabilität bieten kann.
Sollte die EU diesen historischen Moment verpassen und Türkiye weiterhin ausschließen, wird ihr Sicherheitskonzept unvollständig, teuer und letztlich wirkungslos bleiben.
Die Zeit ist reif für einen strategischen Neustart mit Türkiye – zum Wohle der europäischen Sicherheit und Stabilität.