POLITIK
4 Min. Lesezeit
Türkiye Can Make Europe Great Again
Die EU ringt mit internen Krisen und strategischer Schwäche. Eine funktionale Partnerschaft mit Türkiye könnte ihr helfen, geopolitisch wieder handlungsfähig zu werden.
Türkiye Can Make Europe Great Again
Make Europe Great Again. Foto: TRT World
vor 12 Stunden

Die Europäische Union (EU) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Garant für Frieden und Wohlstand gegründet und gilt bis heute als beispielloses Integrationsprojekt. Weder ein Nationalstaat noch eine gewöhnliche internationale Organisation, hat sich die EU mit ihren supranationalen Institutionen, gemeinsamen Gesetzen und ihrer Unionsbürgerschaft eine einzigartige Position in der Weltpolitik erarbeitet. Doch diese besondere Struktur steht heute vor einer existenziellen Krise. Innere Spaltungen, institutionelle Trägheit, Ineffizienz in der Außenpolitik, strategische Blindheit und geopolitischer Druck drohen die EU zu einem passiven Akteur auf der globalen Bühne zu machen.

Europa zögert – und andere Mächte übernehmen das Spielfeld

Seit ihrer Gründung hat die EU große Erfolge in der wirtschaftlichen Integration erzielt – mit der Zollunion, einer gemeinsamen Währung und dem Schengener Abkommen. Doch diese Erfolge konnten nicht auf die Bereiche Außenpolitik und Sicherheit übertragen werden. Der Widerstand der Mitgliedstaaten gegen eine Abgabe nationaler Souveränität in diesen Feldern hat die EU militärisch schwach und weitgehend abhängig von den USA gemacht. Diese Schwäche wurde besonders nach der globalen Finanzkrise 2008 deutlich und hat sich mit dem Brexit 2016 und der Wahl Trumps zum US-Präsidenten weiter verschärft. In der Post-2025-Ära führen Amerikas Isolationismus sowie der geopolitische Druck durch Russland und China dazu, dass Europa zunehmend gezwungen ist, seine Sicherheit eigenständig zu gewährleisten.

Obwohl die EU mit Projekten wie dem Strategischen Kompass versucht, eine eigene Sicherheitsarchitektur zu etablieren, verhindern finanzielle Engpässe, politische Fragmentierung und interne Konflikte eine effektive Transformation. Zudem schmälern aufstrebende Akteure wie China, Indien und Türkiye das normative Gewicht der EU. Solange es der EU an strategischer Tiefe mangelt, ist ihre „Soft Power“ zum Scheitern verurteilt.

Ohne Ankara wankt Europas Sicherheitsarchitektur

An diesem Punkt nimmt Türkiye eine Schlüsselrolle ein, um Europas strategische Blindheit zu überwinden. Geopolitisch liegt Türkiye im Schnittpunkt von Asien, Europa und Afrika. Ankara ist zentral für Energiekorridore und als NATO-Mitglied integraler Bestandteil der westlichen Sicherheitsarchitektur. Darüber hinaus hat Türkiye seine Unverzichtbarkeit für Europas Sicherheit in der Migrationssteuerung und durch seine Schritte im Verteidigungssektor mehrfach unter Beweis gestellt.

Dennoch stagnieren die Beziehungen zwischen Türkiye und der EU seit Jahren. Der 1963 mit dem Ankara-Abkommen eingeleitete Beitrittsprozess erreichte mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen 2005 einen Meilenstein, ist jedoch insbesondere seit 2016 durch gegenseitiges Misstrauen und politische Blockaden nahezu zum Stillstand gekommen. Die Haltung der EU gegenüber Türkiye ist meist normativ motiviert und wird stark von innenpolitischen Befindlichkeiten und negativen öffentlichen Wahrnehmungen beeinflusst.

Gemeinsame Interessen statt leerer Beitrittsversprechen

Doch die heutige komplexe geopolitische Lage zwingt beide Seiten dazu, ihre traditionellen Positionen zu überdenken. Die Frage ist längst nicht mehr, ob Türkiye der EU beitritt. Vielmehr ist die Zeit reif für ein mehrschichtiges, flexibles und funktionales Partnerschaftsmodell auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Solche Interessen liegen vor allem in den Bereichen Migrationsmanagement, Energiesicherheit, Verteidigungsindustrie, technologische Transformation und regionale Stabilität.

Türkiye betrachtet seine Beziehungen zu Europa zunehmend im Rahmen einer strategischen Balancepolitik. Die geopolitische Bedeutung des Landes hat durch den Wettbewerb zwischen den USA und China, dem Ukraine-Krieg und die Instabilität im Nahen Osten weiter zugenommen. Türkiye kann nicht nur zur Lösung von Krisen beitragen, sondern auch eine zentrale Rolle beim Aufbau einer neuen globalen Sicherheits- und Kooperationsordnung spielen.

Türkiye als Prüfstein für Europas geopolitisches Erwachsenwerden

Für die EU bedeutet dies nicht nur eine Neudefinition der Beziehungen zu Türkiye, sondern auch eine Chance, ihre Ambitionen, ein autonomer und effektiver Akteur in der internationalen Ordnung zu sein, neu zu beleben. Damit Europa auf der globalen Bühne als ein eigenständiger Pol bestehen kann, muss es strategische Partnerschaften auf der Grundlage geopolitischer Realitäten statt ideologischer Vorbehalte gestalten. Die Beziehungen zu Türkiye könnten dabei zum Prüfstein dieses Wandels werden.

Zusammenfassend hängt die Zukunft der EU nicht nur von ihrer inneren Reformfähigkeit ab, sondern auch von ihrer strategischen Flexibilität in den Außenbeziehungen. Auch Türkiye muss seine Beziehungen zu Europa aus dem Schatten der Vergangenheit befreien und gemäß der neuen Realitäten gestalten. Wenn beide Seiten ein neues Kooperationsmodell annehmen, kann dies nicht nur die bilateralen Beziehungen, sondern auch die globale Stabilität stärken.

Wirf einen Blick auf TRT Global. Teile uns deine Meinung mit!
Contact us