Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat in einem Interview mit dem türkischen Sender NTV am Freitag vor den Konsequenzen einer möglichen Annexion des besetzten Westjordanlands durch Israel gewarnt. Er glaube nicht, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zögern würde, falls sich die Gelegenheit zur Annexion biete. „Wenn Netanjahu glaubt, dass die Bedingungen stimmen, wird er nicht zögern. Sein Denken ist maximalistisch“, so Fidan. „Aber das wird Israel auf Jahrzehnte hinaus nicht nutzen.“
Fidan kritisierte das israelische Vorgehen im Gazastreifen scharf und sprach von einer „rasenden Raserei“, die mittlerweile zu einem globalen Problem geworden sei. Immer mehr Länder würden sich von Israel distanzieren, mit Ausnahme einiger weniger Staaten. „Abgesehen von US-Politikern sehen wir keine offene Unterstützung mehr für die derzeitige zionistische Haltung in Israel“, sagte Fidan. Er verwies auf die Haltung Frankreichs, dessen Präsident Emmanuel Macron sich für die Anerkennung Palästinas ausgesprochen hatte.
Mit Blick auf die Bemühungen um eine Waffenruhe nannte Fidan drei zentrale Streitpunkte: die Verteilung humanitärer Hilfe in Gaza, den Rückzug der israelischen Bodentruppen und verbindliche Garantien für die Fortsetzung der Waffenruhe nach einer möglichen Freilassung israelischer Geiseln durch die Hamas.
Israel verfolge das Ziel, Gaza nicht nur durch Zerstörung, sondern auch durch gezielte Aushungerung unbewohnbar zu machen. „Israelische Geheimdienstvertreter reisen von Land zu Land, um diese dazu zu bewegen, große Zahlen palästinensischer Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist ein Projekt, um Gaza von Palästinensern zu entleeren“, so Fidan.
Fidan äußerte sich auch zur jüngsten Entscheidung des israelischen Parlaments vom Mittwoch, die Annexion des Westjordanlands offiziell zu unterstützen. Er sieht darin einen direkten Angriff auf die international anerkannte Zwei-Staaten-Lösung. „Sie versuchen, etwas zu zerstören, das auf den Grenzen von 1967 basiert und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist. Wer jetzt keine ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert, öffnet die Tür für zukünftige Risiken“, warnte er.
Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine
Zur Rolle von Türkiye im Ukraine-Krieg erklärte Fidan, das jüngste trilaterale Treffen in Istanbul habe konkrete Mechanismen für humanitäre Austausche sowie Schritte hin zu einem möglichen Gipfel für eine Waffenruhe hervorgebracht.
Sowohl Russland als auch die Ukraine hätten Bereitschaft signalisiert, an einem von Präsident Recep Tayyip Erdoğan organisierten Gipfeltreffen teilzunehmen – gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
„Putin und Selenskyj haben unterschiedliche Voraussetzungen für einen Waffenruhe. Das müssen die Unterhändler klären“, sagte Fidan. Bei weiterhin konstruktiver Atmosphäre könne es in den kommenden Runden zu einer Zwischenlösung kommen.
Bezüglich des geplanten Eurofighter-Abkommens sagte Fidan, die technischen Details seien weitgehend abgeschlossen. „Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem wir sagen: ,Lasst es uns tun.’“
Auch in den Beziehungen zur EU zeichne sich eine positive Dynamik ab. So sei eine neue Regelung zur Visa-Erleichterung in Kraft, die Personen mit früheren Schengen-Visa künftig Mehrfachvisa ermögliche. Fortschritte gebe es zudem bei der Visaliberalisierung, der Modernisierung der Zollunion sowie einer möglichen Wiederaufnahme von Projekten durch die Europäische Investitionsbank.
Mit Blick auf die Spannungen zwischen Israel und dem Iran sagte Fidan, er glaube nicht, dass der Iran einen Angriff starten werde, es sei denn, er werde selbst zuerst angegriffen. Beide Seiten hätten offenbar Lehren aus dem zwölf Tage andauernden Krieg im Juni gezogen und würden ihre Positionen überdenken.