GESELLSCHAFT
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Mehr Bürgerwille ins Parlament – Vorschlag à la „Wahl-O-Mat“
Wie könnte ein Wahlsystem aussehen, das Meinungen der Bevölkerung besser abbildet? Ein Wissenschaftler schlägt vor, bei Bundestagswahlen Sachfragen stärker zu gewichten. Was hinter dem Modell steckt.
Mehr Bürgerwille ins Parlament – Vorschlag à la „Wahl-O-Mat“
Mehr Bürgerwille ins Parlament – Vorschlag à la „Wahl-O-Mat“. / Foto: Laila Tkotz/KIT/dpa
7. August 2025

In der Debatte um eine Reform des Wahlrechts spricht sich ein Karlsruher Wissenschaftler dafür aus, bei der Stimmabgabe inhaltlichen Themen mehr Gewicht zu verleihen. „Der Bundestag spiegelt den Volkswillen nur zum Teil wider“, erklärte Professor Andranik Tangian vom Institut für Volkswirtschaftslehre des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Für mehr Repräsentation schlägt Tangian vor, dass Bürgerinnen und Bürger ähnlich wie beim „Wahl-O-Mat“ auf dem Stimmzettel konkrete Sachfragen etwa zur Sozialpolitik oder zum Klimaschutz beantworten. Die Parteien täten dies im Vorfeld ebenfalls. „Anhand der Übereinstimmung zwischen Partei und Wählern in Sachfragen wird berechnet, welche Partei am besten zur Meinung der Bevölkerung passt“, erläuterte der Mathematiker. „Und dieser Faktor wird bei der Verteilung der Sitze im Bundestag berücksichtigt.“ Um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, könnten regelmäßig neue Fragen gestellt werden.

Kleinere Parteien weniger benachteiligen

Hintergrund der Überlegungen: Im aktuellen Wahlsystem werden kleine Parteien laut Studien des Forschers benachteiligt. Die Sitzverteilung sei verzerrt, ein Großteil der Bevölkerung fühle sich nicht mehr vertreten. So habe die Tierschutzpartei die größte Übereinstimmung mit dem Meinungsbild der Bevölkerung, sei aber nicht im Bundestag. Das Beispiel zeige, wie eine inhaltlich sehr bürgernahe Partei durch das Wahlsystem nicht zum Zuge komme. Der von Tangian entwickelte Repräsentativitätsindex misst laut KIT, wie Parteipositionen mit der in Umfragen ermittelten öffentlichen Meinung übereinstimmen.

Die aktuelle Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD wiederum erreiche gemeinsam 51,5 Prozent Repräsentativität, hieß es. „Gemessen an diesem Wert fühlt sich nur knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch sie vertreten“, sagte Tangian nach KIT-Angaben, der sich schon länger mit dem Thema und einer „dritten Stimme“ als Lösungsidee befasst. „Nicht die Nähe zur Bevölkerung entscheidet über Parlamentssitze, sondern strukturelle Faktoren.“

Der Professor möchte demokratische Repräsentation neu denken und seine Forschungsergebnisse als Denkanstoß für Politik und Gesellschaft verstanden wissen. „Wenn ein Wahlsystem möglich ist, das kleinere Parteien weniger benachteiligt und die tatsächlichen Meinungen der Bevölkerung besser abbildet, sollten wir darüber sprechen“, appellierte er.

Klöckner besteht auf einer erneuten Reform

Die Ampel-Koalition hatte mit einer Änderung des Bundestagswahlrechts eine Verkleinerung des Parlaments von zuletzt 735 auf 630 Sitze erreicht. Eine Folge war, dass nach der Wahl im Februar 23 Wahlkreissieger ihr Direktmandat nicht erhielten, weil ihrer Partei die nötige Zweitstimmendeckung fehlte.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hatte jüngst auf eine erneute Reform gedrungen. Sie habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Wahlrecht wieder zu ändern und dazu eine Kommission einzusetzen. Jeder Wahlkreisgewinner soll wieder in den Bundestag kommen. Außerdem soll das Parlament „grundsätzlich bei der aktuellen Größe verbleiben“. Im Zuge der neuen Reform soll laut Koalitionsvertrag auch geprüft werden, wie die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen im Parlament gewährleistet werden kann, und ob das Wahlalter auch für Bundestagswahlen auf 16 Jahre gesenkt werden sollte.

QUELLE:DPA
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