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Eine Welt im Umbruch: Neue Allianzen, neue Realität
Internationale Institutionen versagen bei der Bewältigung globaler Krisen, während neue Allianzen an Einfluss gewinnen. Die Zukunft liegt in einer multipolaren Welt, die gerechter und repräsentativer ist.
Eine Welt im Umbruch: Neue Allianzen, neue Realität
Foto: Zhao Wang/AFP
vor 13 Stunden

Seit Jahrzehnten wurde die Weltordnung von einem klaren Machtzentrum geprägt. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien es, als ob die Vereinigten Staaten mit ihren westlichen Partnern die Spielregeln alleine bestimmen könnten. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen verkörpern diese Dominanz, oft jedoch mit dem Anspruch, universelle Lösungen für globale Probleme zu liefern. Heute zeigt sich deutlicher denn je: Diese Strukturen sind nicht mehr ausreichend. Die Welt ist komplexer, schneller und fragmentierter geworden.

Wir leben in einer Epoche, in der Kriege und Waffenstillstände durch eine einzige Nachricht in den sozialen Medien ausgelöst werden können. Regierungen wanken, wenn digitale Bewegungen millionenfach geteilt werden. Die Vorstellung, dass eine einzige Supermacht oder ein kleiner Kreis westlicher Institutionen weiterhin den Ton angeben könne, wirkt zunehmend anachronistisch. Es gibt neue Volkswirtschaften, aufstrebende Technologien und alternative Allianzen. Fortschritte, die früher Jahrhunderte benötigten, geschehen heute in wenigen Jahrzehnten. Wer glaubt, man könne diese Dynamik mit denselben alten Institutionen und Regeln steuern, verkennt die Realität.

Wachsende Bedeutung alternativer internationaler Institutionen

Die gegenwärtigen internationalen Organisationen haben zu oft gezeigt, dass sie Krisen nicht rechtzeitig und wirksam lösen können. Sei es bei den Konflikten im Nahen Osten, bei globalen Migrationsbewegungen oder bei Finanzkrisen, die Entscheidungsprozesse sind schwerfällig, die Ergebnisse oft unzureichend. In einer Zeit, in der soziale Medien Regierungen stürzen können und technologische Innovationen den Lauf der Geschichte beschleunigen, braucht es Strukturen, die flexibel reagieren können.

In diesem Kontext gewinnen alternative Institutionen, etwa die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), an Gewicht. In den vergangenen zwei Tagen feierte sie jüngst ihren 25. Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Tianjin. Was 1996 als regionales Sicherheitsforum begann, hat sich zu einer der umfassendsten Plattformen Eurasiens entwickelt.

Heute umfasst die Organisation rund 40 Prozent der Weltbevölkerung und ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Mit dem Beitritt Irans gewinnt die SOZ zusätzlich eine zentrale Rolle im globalen Energiedispositiv. Für die zentralasiatischen Staaten eröffnet sich über diese Plattform die Möglichkeit, sowohl ihre Sicherheitsinteressen zu schützen als auch wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Die SOZ ist damit mehr als nur ein Bündnis.

Sie ist Ausdruck eines neuen Trends hin zu multipolaren Strukturen.  Natürlich bleibt die Organisation nicht frei von Widersprüchen. Historische Rivalitäten zwischen Indien und Pakistan oder konkurrierende geopolitische Interessen einzelner Mitglieder machen aus der SOZ kein homogenes Bündnis.

Rolle von Türkiye in der multipolaren Welt

Gerade in dieser neuen multipolaren Ordnung nimmt Türkiye eine besondere und zunehmend anerkannte Rolle ein. Ankara verfolgt seit Jahren einen pragmatischen Ansatz, der in der Außenpolitik auf Flexibilität, Dialog und Vermittlung setzt. Dieser Ansatz ist in einer Welt, die von wachsenden Spannungen und globalen Machtverschiebungen geprägt ist, von entscheidender Bedeutung.

Türkiye ist fest in die Strukturen der NATO eingebunden und bleibt damit Teil des westlichen Sicherheitsbündnisses. Gleichzeitig pflegt sie konstruktive und vertiefte Beziehungen zu alternativen Institutionen wie der SOZ. Diese Doppelrolle ist nicht Ausdruck von Widersprüchen, sondern vielmehr von einer bewussten Strategie: Ankara sucht nach Wegen, Brücken zwischen verschiedenen Machtzentren zu bauen und die eigenen außenpolitischen Spielräume zu erweitern. Auf diese Weise positioniert sich Türkiye nicht nur als regionaler, sondern auch als global relevanter Akteur, der sowohl im Westen als auch im Osten ernst genommen wird.

Für die internationale Politik ist dieses Beispiel bedeutsam. Während viele Staaten in überholte Blockmuster des Denkens zurückfallen und auf harte Polarisierungen setzen, zeigt Türkiye, dass pragmatische Diplomatie und eine Balance zwischen verschiedenen Bündnissen ein praktikabler Weg sein können. Der türkische Präsident Erdoğan hebt in seiner Politik immer wieder hervor, dass weltweiter Frieden nicht durch Konfrontation, sondern durch integrative Ansätze erreicht werden kann. Damit sendet Türkiye ein Signal, das weit über die eigene Region hinausreicht: Globale Stabilität entsteht nicht durch Ausschlüsse, sondern durch die Bereitschaft, mit unterschiedlichen Partnern zusammenzuarbeiten.

Gerade in einer multipolaren Welt, die von Unsicherheiten, Machtkämpfen und neuen wirtschaftlichen Dynamiken geprägt ist, braucht es Akteure, die diese Balance verkörpern. Türkiye zeigt, dass es möglich ist, zugleich Mitglied in einem westlichen Bündnis wie der NATO zu sein und dennoch gute Beziehungen wie der SOZ zu pflegen. Dieses Modell der Außenpolitik ist nicht frei von Herausforderungen, bietet aber einen wichtigen Beitrag zu einer gerechteren und repräsentativeren internationalen Ordnung.

Ein neues Zeitalter der Vielfalt

Die multipolare Weltordnung ist keine ferne Utopie mehr, sondern bereits gelebte Realität. Sie bedeutet nicht das Ende westlicher Institutionen, sondern ihre Ergänzung durch andere Machtzentren. Wer heute noch glaubt, die internationale Politik könne dauerhaft durch eine einzige Supermacht und ihre Verbündeten bestimmt werden, verschließt die Augen vor den tektonischen Verschiebungen der Gegenwart.

Die Zukunft gehört nicht mehr dem alten Paradigma der Unipolarität. Sie gehört jenen, die es wagen, neue Wege zu gehen, Bündnisse zu knüpfen und die Vielfalt der Stimmen ernst zu nehmen. Wenn die internationale Gemeinschaft den Anspruch hat, globale Krisen zu lösen, darf sie sich nicht länger auf die alten Strukturen verlassen. Der Ruf nach Alternativen ist lauter denn je und er ist berechtigt.

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