„Autoritäre Internationale“, „Doppel-Angriff aus Russland und China“, „Bündnis gegen den Westen“ - im Zuge von Putins Besuch in Peking überboten sich deutsche Veröffentlichungen mit Negativ-Schlagzeilen. Ein fester Bund wird teilweise als Fakt hingestellt und tatsächlich überboten sich die Staatschefs von Russland und China mit demonstrierter Einigkeit. 20 gemeinsame Abkommen wurden unterzeichnet.
Etwas aus dem Blickfeld gerät dabei, dass solche Gipfeltreffen ja traditionell genutzt werden, um gegenseitige Beziehungen im besten Bild erstrahlen zu lassen, egal wie ungetrübt sie gerade wirklich sind. Vor dem Ukraine-Krieg sprach sogar Putin bei solchen Gelegenheiten mit europäischen Spitzenpolitikern von „westlichen Partnern“, die schon lange aus seiner Sicht keine mehr waren.
Ist gerade die wirtschaftliche Harmonie zwischen Russland und China so tief, wie in Peking demonstriert und zur besseren Feindbilddarstellung von westlicher Presse großteils übernommen? Tatsächlich wandte sich Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine wirtschaftlich eher zwangsläufig China zu, der größten nichtwestlichen Wirtschaftsmacht. Der Außenhandel mit Europa brach zusammen, für die wichtigen russischen Rohstoffeinnahmen brauchte es neue Käufer, westliche Technik war nur noch über asiatische Umwege zu beschaffen. In vielen Branchen konnten russische Hersteller die entstandene Lücke nicht füllen.
So strömten chinesische Produkte auf den russischen Markt, 2024 stammen etwa 60 % der Neuwagenverkäufe zwischen Kaliningrad und Wladiwostok aus dem Reich der Mitte. An den Importwägen beträgt der Anteil sogar 77 % und könnte laut dem Wirtschaftsexperten Vakhtang Partsvania von der Kaukasus-Universität bis Ende des Jahres auf 90 % steigen (1).
Darüber herrscht im Kreml jedoch aktuell mitnichten Zufriedenheit. Denn die Automobilverkäufe in Russland sinken momentan wegen wirtschaftlicher Schwierigkeit und hoher Kreditzinsen. Russische Produzenten bleiben zunehmend auf ihren Fahrzeugen sitzen. Die Offiziellen reagieren auf diese Situation gegenüber den chinesischen Anbietern mit harter Hand. Für eine Reihe von chinesischen LKW-Modellen wurde die Zulassung für den russischen Straßenverkehr von der zuständigen Behörde Rossstandart entzogen (2), russische Wissenschaftler entdecken plötzlich in chinesischen Hybridfahrzeugen eine erhöhte Strahlenbelastung und weitere Rufe nach allgemeinen Importbeschränkungen für chinesische Fahrzeuge nach Russland werden laut (3).
Der Fahrzeugmarkt ist hierbei kein Einzelfall. Russland erhob seit 2024 selektiv sehr hohe Zölle auf bestimmten Einfuhren aus oder über das Reich der Mitte. So stiegen 2024 und 2025 die Einfuhrabgaben auf Möbelteile aus China (4), über China eingeführte westliche Konsumgüter wurden ebenfalls mit einem hohen Zoll belegt.
Auch die chinesische Seite ist aus eigenen Interessen etwa beim für Russland so wichtigen Rohstoffexport vorsichtig bei der Kooperation. Während Moskau über eine neue Pipeline „Power of Sibiria 2“ möglichst schnell große Mengen seines jetzt in Europa kaum noch absetzbares Erdgas in Richtung China pumpen will, drückt China hier auf die Bremse. Dem energiehungrigen Nachbarn ist eher an einer Diversifikation seiner Energiequellen und -importe gelegen.
Erdgas kaufen die Chinesen selbst aus Australien und den USA, um nicht in eine Einseitigkeit Abhängigkeit von Russland zu geraten. Auch alternative Energiequellen werden von Peking im großen Umfang gefördert, um die eigene Wirtschaft von ausländischen Energiequellen in Zeiten wachsender Instabilität unabhängiger zu machen. So harrt „Power of Sibiria 2“ schon Jahre seiner Realisierung, ein aktuelles Abkommen in Peking zum Gasstrang enthält laut der Financial Times nur allgemeine Bestimmungen, aber keine Einzelheiten zur Preisgestaltung, der größten Meinungsverschiedenheit zum Projekt (5)
Eine Einladung zum für Putin wichtigen Wirtschaftsforum in Wladiwostok, das ein Zentrum ostasiatischer Kooperationen werden soll, ignorierten erst in diesem Monat sowohl führende Vertreter des chinesischen Außenministeriums, der dortigen Zentralbank und die Riege der chinesischen Top-Manager (6). „China ist zwar Russlands größter Handelspartner, aber Russland hat nur einen kleinen Anteil an den chinesischen Exporten“ stellt in diesem Zusammenhang die Ökonomin Elina Rybakova gegenüber der Deutschen Welle fest (7). Noch immer will China nicht durch eine zu enge Russlandkooperation in den Strudel des Sanktionskriegs zwischen Moskau und dem Westen hinein gezogen werden.
Was im wirtschaftlichen Bereich gilt, gilt im politischen nicht minder: Nicht alles zwischen Moskau und Peking ist eitel Sonnenschein. Anders als etwa Nordkorea hütet sich China davor, den Kreml in seiner Invasion der Ukraine offen zu unterstützen. „Chinas gesamtes Handeln zielt darauf ab, eine direkte Konfrontation mit den USA und der EU und vermeiden, die die Ukraine stark unterstützen“ ist dazu die Meinung des russischen Sinologie Alexei Tschigadajew in einer Analyse (8). Man ist in Peking nach seiner Meinung des anhaltenden und von Russland entfachten Krieges müde und halte an der eigenen Neutralität fest.
Was Russland und China dagegen eint ist die gemeinsame Gegnerschaft zu einer weltweiten politischen Dominanz des Westens. Beide haben ein Interesse an der Bildung eines Gegenpols zur US-geführten Welt, etwa im Rahmen der Staatengemeinschaft BRICS. Hier ist der Zeitpunkt günstig, wenn Trump mit wüsten Sanktionsdrohungen und -maßnahmen in allen Richtungen die Weltwirtschaft verunsichert, Entwicklungshilfe- und Forschungsgelder der Vereinigten Staaten kürzt. Viele multinationale Projekte stehen dadurch vor dem Aus. Deswegen ist diese Kooperation zwischen Peking und Moskau stark in den Fokus gerückt. Doch selbst in diesem einigen Ziel gibt es signifikante Unterschiede. Russland hat für seine machtpolitischen Ziele auch wirtschaftlich mit dem Westen gebrochen, während für China der Erhalt solcher Wirtschaftsbeziehungen mit diesem elementar sind.
Beide sehen sich als Führungsmächte des „Globalen Südens“, der wie mit der BRICS hier ein Gegengewicht zum Westen aufbauen will. Doch China ist selbst in dieser Staatengemeinschaft darauf bedacht, sich als besonnener und bedachter Partner im Gegensatz zu den Russen zu präsentieren, die wie mit ihrer Ukraineinvasion notfalls auf einen bewaffneten Konfrontationskurs gehen. Im einigen Ziel ist die Strategie umstritten.
Die geopolitischen Interessen sind zwischen China und Russland von Natur aus sehr verschieden - Pekings Fokus liegt bei der Machtpolitik im indo-pazifischen Raum und man sollte nicht rhetorische Unterstützung Russlands auf Gipfeltreffen bei der Schaffung einer multipolaren Weltordnung mit Unterstützung russischer Ambitionen in Osteuropa verwechseln. Osteuropa ist für die Chinesen weit und man will sich nicht einseitig in dortige machtpolitische Auseinandersetzungen hinein ziehen lassen.
In Mittelasien sind China und Russlands sogar Konkurrenten um Einfluss. Hier gerät Russland in seinem traditionellen Hinterhof zunehmend ins Hintertreffen. China baut mit viel Einsatz durch Infrastrukturprojekte im Rahmen seiner „Neuen Seidenstraße“ Macht und Einfluss im zentralasiatischen Raum aus. Währenddessen geht die russische Bedeutung zurück, offene Konflikte wie etwa mit Aserbaidschan brechen auf.
Der kasachische Geopolitikexperte Eldaniz Gusseinov rechnet deswegen mit einer wachsenden strukturellen Rivalität zwischen den Russen und Chinesen in Mittelasien (9). Es sei zu erwarten, dass die gemeinsamen multinationalen Organisationen zu Plattformen dieser Konkurrenz werden und eine spannungsgeladene Rivalität in Zukunft möglich sei. Der Russlandexperte der Friedrich-Ebert-Stiftung Alexey Yusupov spricht beim demonstrativ guten Verhältnis zwischen China und Russland im Sozialen Netzwerk X sogar von einer reinen „Bromance an der Spitze“. Er nennt als Beleg seiner Meinung die Nicht-Kooperation bei Cyberangriffen, ausbleibende chinesische Investition in Russland, die Nichtzulassung russischer Banken in China und schwache unterelitäre Verbindungen. All das gehe „beim Blick auf die hochtrabende visuelle und rhetorische Propaganda“ unter.
Ob die Möglichkeit eines engeren Zusammenrückens von Peking und Moskau Realität wird hängt von verschiedenen Faktoren ab. Während ein Ausgleich oder gar eine zukünftige Kooperation zwischen Russland und dem Westen zunehmend unwahrscheinlich erscheint, ist der Weg in eine so spannungsgeladene Zukunft zwischen China und der westlichen Welt nicht fest vorgezeichnet. Es wird gerade von den USA und Europa abhängen, ob sich Peking bei seinen eigenen machtpolitischen Ambitionen etwa in Richtung Taiwan aus wirtschaftlichem Interesse zurückhält oder - ähnlich wie Moskau - in zunehmendes Säbelrasseln oder radikalere Schritte verfällt.
Es wäre im Interesse des Westens eine sich radikalisierende enge Kooperation zwischen Russland und China aufzubrechen. Entscheidende Weichen werden hier natürlich in Washington gestellt. Aktuell sieht es danach aus, als ob Trump mit seinem außenpolitischen Kurs eher - wie mit Indien - weitere Staaten in eine engere Kooperation mit Russland und China treibt, während sich Europa gegen die eigenen Interessen dem US-Kurs unterordnet. Doch es wäre angesichts doch sehr unterschiedlicher Standpunkte in Moskau und Peking noch nicht zu spät, etwa aus Brüssel mit einer auf Ausgleich bedachten eigenständigen Diplomatie eine feste Blockbildung zwischen der westlichen und chinesisch-russischen Welt zu verhindern. Doch noch wird in Europa eine multipolare Welt, die unausweichlich kommt, nicht als Rahmen für eigenständige Möglichkeiten, sondern einseitig als Bedrohung der eigenen Stellung begriffen.