POLITIK
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AfD und die Einstufung als rechtsextrem: Nicht bloß Ländersache
Die AfD Brandenburg will das System kippen – und liegt bundesweit vorn. Hält die Demokratie stand oder fällt die Brandmauer?
AfD und die Einstufung als rechtsextrem:  Nicht bloß Ländersache
Journalisten bei der Pressekonferenz zu der Veröffentlichung eines Einstufungsvermerk zur AfD als rechtsextrem. / DPA
vor 6 Stunden

Am Donnerstag wurde offiziell, was viele Beobachter bereits ahnten: Der Brandenburger Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) wird durch Innenminister René Wilke und Verfassungsschutz-Chef Wilfried Peters als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Diese Entscheidung, gestützt auf ein umfangreiches Gutachten des Landesamtes für Verfassungsschutz, markiert einen entscheidenden Wendepunkt – nicht nur für Brandenburg, sondern für die politische Balance in Deutschland und ihre europäische Ausstrahlung. Rechtsradikale vertreten Positionen am rechten Rand des politischen Spektrums. Rechtsextreme gehen darüber hinaus, denn sie wollen ein anderes politisches System. Genau das belegt das Gutachten mit über 600 Fällen aus denen sich zeigt, dass der Landesverband sich nach revolutionären Zuständen sehnt, um den verhassten Parteienstaat abzuschaffen.

Die Begründung: Menschenwürde, Demokratie und offene Radikalisierung

Der Kern der Einstufung liegt nicht in Einzelmeinungen, sondern in einer systematischen Sammlung extremistischer Positionen und Äußerungen von Brandenburger AfD-Funktionären. Laut Gutachten bestehen „keine Zweifel mehr an der extremistischen Ausrichtung des gesamten Landesverbandes“. Die AfD Brandenburg habe die „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ aus der Zeit als Verdachtsfall seit 2020 „weiter fortgesetzt und erheblich intensiviert“. Auffällig ist dabei:

  • Verstöße gegen die Menschenwürde: Über 37 Seiten des Gutachtens beschäftigen sich mit Aussagen, die Minderheiten herabwürdigen und ausgrenzen.

  • Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat: Zusätzlich werden auf 25 Seiten Belege für die Ablehnung pluralistischer Grundstrukturen gesammelt. Die Partei will den „Parteienstaat abschaffen“ und wähnt sich „im geistigen Bürgerkrieg“.

  • Fremdenfeindlichkeit und Rassismus: Der Landesverband richtet sich laut Verfassungsschutz „in hohem Maße fremdenfeindlich, zum Teil rassistisch, und besonders gegen Muslime“.

  • Kontakte ins rechtsextreme Milieu: Die Brandenburger AfD hat demnach ihre Verbindungen zur Identitären Bewegung und anderen rechtsextremen Gruppen nicht nur gehalten, sondern ausgebaut.

    Die Argumentationslinie ist klar: Die AfD Brandenburg lehnt die Gleichheit aller Bürger ab, propagiert eine ethnisch-abstammungsbasierte Volksdefinition und will demokratische Strukturen überwinden. Diese Entwicklung – von einer Protestpartei hin zu einer offen rechtsextremen Kraft – war für den Verfassungsschutz Anlass, den Status von „Verdachtsfall“ auf „gesichert extremistisch“ hochzustufen.

Politische Lage: AfD als stärkste Kraft – ein demokratischer Stresstest

Die Einstufung erfolgt zu einem Zeitpunkt extremer politischer Spannung: Nach den jüngsten Wahlprognosen liegt die AfD mit 26 Prozent deutlich vor CDU (24 Prozent) und SPD (13 Prozent) und kann sich erstmals Hoffnungen auf den Posten des Kanzleramtes machen. Dieses Szenario gab es so noch nie und spaltet das Land in Anhänger und Gegner einer nationalistischen, anti-EU und migrationsfeindlichen Politik.

Diese Verschiebung zeigt sich über Parteigrenzen hinweg: Auf Bundesebene sieht es nicht viel besser aus für die Regierung Merz nach ihren ersten 100 Tagen. Die einstige Volkspartei CDU verliert an Bindekraft, die SPD rutscht ab, kleinere Parteien und Bündnisse stagnieren. Die sogenannte Große Koalition steht für die Verteidigung einer Mitte, die zahlenmäßig und in Bezug auf ihre Prioritäten an Bedeutung verliert. 

Für viele Wähler, besonders in strukturschwachen Regionen und bei Protestwählern, erscheint die radikale AfD als einzig glaubwürdige Opposition. Umgekehrt zeigen zahllose Bürgerproteste gegen die Partei und ihre extremistischen Positionen eine zunehmende Polarisierung des Landes. Sie stehen aber auch für eine wehrhafte Demokratie und engagierte Zivilgesellschaft, die sich den Feinden des Grundgesetzes entgegenstellt und dies nicht nur Institutionen und Gerichten überlässt.

Der aktuelle Vorsprung der AfD kann als direkte Reaktion auf das Verhalten der etablierten Parteien gelesen werden. Populismus liefert keine Lösungen, sondern treibt CDU und SPD mit dem Vorwurf vor sich her, die versprochene Politikwende nicht oder nicht ausreichend umgesetzt zu haben. Ausbleibende, beziehungsweise schleppend umgesetzte Wirtschaftsreformen und eine nicht entschlossen kommunizierte Migrationspolitik stärken die Populisten. Während die AfD mit einfachen Botschaften, Bildern und Schuldzuschreibungen punktet, bleiben substanzielle Reformimpulse und die wirtschaftspolitische Kontroverse auf der Strecke oder es dauert zu lange, bis die Erfolge sichtbar werden. Eine leidenschaftliche wirtschaftspolitische Debatte könnte den Populisten das Wasser abgraben – derzeit jedoch vermeiden Union und SPD dieses Thema, was aus Sicht der AfD „ideal“ ist.

Hinzu kommt, dass die AfD auch bei Wählergruppen gewinnt, denen ihr eigenes Programm schaden würde: Beispielrechnungen zeigen, dass typische Arbeiterhaushalte durch AfD-Vorschläge real deutlich verlieren würden, dennoch erreicht sie gerade hier die höchsten Stimmenanteile. Die etablierten Parteien laufen so Gefahr, den gesellschaftlichen Rückhalt weiter zu verlieren, wenn sie keine klaren und wirkungsvollen Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart formulieren,

Die Folgen der Einstufung: Recht, Gesellschaft und politische Debatte

Juristisch eröffnet die Einstufung dem Staat weitergehende Möglichkeiten, insbesondere zur Überwachung von Kommunikation, Veranstaltungen und Finanzen. Abgeordnete der AfD, die als Rechtsextremisten gelten, können von bestimmten Positionen ausgeschlossen werden. Medien und Behörden dürfen die Partei nun offiziell als rechtsextremistisch bezeichnen.

Gesellschaftlich dürfte die Polarisierung weiter zunehmen. Die AfD nutzt die Einstufung bereits als Mittel der Mobilisierung, spricht von „politischer Verfolgung“ und inszeniert sich als Opfer des Systems. Für demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich gegen das Menschenbild der AfD stellen, wird die Abgrenzung zum Rechtsextremismus zur Existenzfrage. Haltlose Ankündigungen von Massenabschiebungen oder symbolische und gleichzeitig teure Grenzkontrollen auf Kosten des Schengen-Systems führen offensichtlich nicht zum gewünschten Erfolg und imitieren nur den Populismus der Verfassungsfeinde mit seinen simplifizierenden Scheinlösungen.

Politisch ist die Maßnahme riskant und notwendig zugleich. Sie zwingt alle Parteien, Position zu beziehen, das eigene Profil zu schärfen und zu erläutern, wie sie mit einem weiteren Erstarken der AfD umgehen. Das Bündnis „Brandmauer“ gegen Rechts führt zu strategischen Diskussionen: Was, wenn Regieren ohne eine rechtsextreme  AfD nicht mehr möglich ist?

Europäischer Kontext: Die Normalisierung der rechten Welle

Im Ausland werden die deutschen Entwicklungen aufmerksam verfolgt. Europawahlen und nationale Urnengänge der letzten Jahre zeigen: Das Erstarken rechter und rechtsextremer Parteien ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal, sondern Ausdruck eines breiten Unbehagens, teils mit gefühlten Wirklichkeiten („früher war alles besser“, „Überfremdung“, „Umvolkung“, etc.), teils mit realen Folgen von Globalisierung, Migration und europäischer Integration. Global gesehen ist es Ausdruck eines Systemkonflikts mit autoritären Staaten, die das westliche, liberale Modell bekämpfen.

Die AfD steht somit nicht allein und hat gerade von dort Unterstützung. Aktuell sind drei Parteifamilien im Europäischen Parlament vertreten, die sich als Gegner des „Systems“ und der EU profilieren, die nationale Souveränität statt Solidarität betonen und mit antidemokratischen Versatzstücken Mehrheiten gewinnen können. Wegen ihrer teils radikalen Unterschiede finden aber auch sie keinen gemeinsamen Nenner außer der Ablehnung des „Systems“. Rechtsaußen hat aber insgesamt an Gewicht gewonnen und macht es den Parteien mit einem Pro-EU-Kurs schwerer, Mehrheiten und konstruktive Lösungen zu finden.

Diese Entwicklung ist für Europa riskant: Die EU steht angesichts von Krieg, Wirtschaftskrisen und geopolitischen Spannungen mehr denn je unter Druck, Antworten zu finden. Selbstblockaden und innere Zerwürfnisse spielen den Gegnern der EU in die Karten.

AfD und die Außenpolitik: Gegen das vereinte Europa

Der Blick auf die Programmatik der AfD zeigt eine konsequente Anti-EU-Haltung: Ablehnung des Euro und zentraler Regulierungen, Rückführung der nationalen Kontrolle über Migration und Datenschutz, Skepsis gegenüber gemeinsamer Asylpolitik. Damit steht die Partei gegen die integrationspolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte und isoliert Deutschland zunehmend von seinen Partnern.

Ein starker Erfolg der AfD in Brandenburg – und im Bund – hätte fatale außenpolitische Signalwirkung: Inmitten der aktuellen Krisen könnte Deutschlands Rolle als zuverlässiger Partner in Europa infrage stehen. Für die deutschen Unternehmen, internationale Bündnisse und die Verteidigung gemeinsamer Werte ist das eine gefährliche Perspektive. Auch die Attraktivität eines Landes mit alternder Bevölkerung, die dringend auf qualifizierte Einwanderer angewiesen ist, leidet massiv.

Ausblick und Verantwortung: Demokratie schützen, Europa verteidigen!

Die Einstufung der AfD Brandenburg als rechtsextrem ist kein Verwaltungsakt, sondern ein politischer Weckruf. Eine wehrhafte Demokratie muss sich verteidigen gegen die Normalisierung von Extremismus.  Dabei helfen weder Ignorieren noch Alarmismus, sondern nur entschlossene politische und gesellschaftliche Gegenerzählungen, die überzeugend kommuniziert werden. Aktuell läuft die CDU-SPD-Koalition - wie bereits vorher die Ampel - Gefahr, an überzogenen Erwartungen an einen versprochenen „Politikwechsel“ zu scheitern. Aber nach 100 Tagen sollte man warnen, nicht richten.

Brandenburg steht – wie auch anderswo in Europa – vor der Entscheidung: Welchen Weg wollen wir gehen? In welchem politischen System wollen wir leben? Stehen wir ein für eine offene Gesellschaft, demokratische Institutionen und ein starkes Europa oder folgen wir den Bewunderern autoritärer Führer. Die Einstufung der AfD schafft Klarheit über deren Ziele; die Antwort muss eine offensive Verteidigung unserer Werte und des europäischen Projekts sein, denn es geht um weit mehr als um Brandenburg.

 

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