Urban Survival Training: „In Krisen gelten andere Regeln“
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Urban Survival Training: „In Krisen gelten andere Regeln“Wie gehe ich mit einem mehrtägigen Stromausfall um? Wie mit Wasserknappheit, Verletzten und Terror? In Urban Survival Trainings lernt man, sich in Krisensituationen zurechtzufinden. TRT Deutsch hat mit Anbietern, Teilnehmern und Experten gesprochen.
Überlebenstrainings wie die bei EarthTrail sind im Trend, da sie praktische Fähigkeiten vermitteln. / Foto: Copyright by EarthTrail/C. Dost / Others
13. August 2025

Klimabedingte Wetterextreme häufen sich, die Kriege im Nahen Osten, in der Ukraine, im Sudan und in Myanmar sind omnipräsent – zumindest in den Medien. Auch die zurück liegende Pandemie oder der langanhaltende Stromausfall in Spanien im April 2025 sorgen dafür, dass die Angst vor humanitären Krisen stetig zunimmt. Könnte das Grund dafür sein, warum Survival Trainings im Freizeitbereich aktuell eine steigende Nachfrage verzeichnen? Immerhin wächst die Zahl der Anbieter von Überlebenstrainings europaweit derzeit rasant an.

Simulation von Krisen im Rollenspiel

Ein solcher Anbieter am Markt ist EarthTrail: „Wir haben vor 15 Jahren mit Wildnis-Erlebniskursen in Deutschland angefangen“, berichtet Geschäftsführer Christian Dost aus Dresden, der sein Portfolio nach dem Start relativ schnell um Erste-Hilfe-Seminare und Leadership-Programme erweitert hat. Inzwischen führt EarthTrail bundesweit jährlich rund 40 Trainings durch: „Dort simulieren wir über längere Zeiträume Krisensituationen“, erklärt der Geschäftsführer.

Seit 2016 spezialisiert sich EarthTrail mit dem Format „
Urban Survival Training“ auf urbane Krisen und ist damit ein Pionier im deutschen Raum. Der Trainingsanbieter möchte Normalbürgern auf diese Weise grundlegende Skills für den Ernstfall vermitteln – jedoch nicht mit Seminar-Charakter, sondern durch einen Szenario-basierten Trainingsansatz. Dieser werde auch bei Rettungsdiensten, in Krisen-Interventionsteams und im militärischen Bereich praktiziert, betont der Experte.

Was ist überhaupt ein Urban Survival Training?

Doch was ist ein Urban Survival Training eigentlich? Rund 15 bis 20 Menschen kommen für ein fünftägiges Überlebenstraining zusammen, begleitet von drei Trainingsleitern und weiteren Statisten. „Wir nutzen sogenannte Lost Places, d.h. alte Ruinen, Baracken und Militärgelände, die das passende Ambiente für unsere Kurse schaffen“, erläutert Dost. Nach einer Einstiegsrunde mit Sicherheitsbriefing starten die Teilnehmer in ein Szenario, aus dem sie fünf Tage später wieder hervorkommen. „Dazwischen kann so ziemlich alles passieren“, verrät Dost: „Wir stellen in diesen fünf Tagen eine sich entwickelnde und zuspitzende Notsituation dar.“

Zunächst müssen die Teilnehmer eines Urban Survival Trainings lernen, sich selbst um ihre Primärbedürfnisse zu kümmern – ob Wasser, Nahrung oder ausreichend Schlaf. Stromausfall, Hunger und Wassermangel stellen somit die ersten, größeren Herausforderungen dar, die es in der Gruppe zu bewältigen gilt. Die äußere Bedrohungslage spitzt sich durch gezielte Einspieler weiter zu: Einbrecher, Plünderung, Terrorismus, Überfälle oder Infektionskrankheiten beispielsweise.

Das Leben in der Lage – ständige neue Bedingungen

Erlernte Erste-Hilfe-Kenntnisse müssen angewendet werden, wenn plötzlich schreiende Verletzte auftauchen. Durch solche Mikro-Szenarien sorgt der Trainingsanbieter für eine Verdichtung der Ereignisse – und erzielt ein höheres Stresslevel unter den Teilnehmern, für die sich die gespielte Realität mitunter täuschend echt anfühlt.

„Die Bedrohungen wirken sich auf die interne Gruppendynamik aus“, beobachtet Dost, der selbst aus dem Rettungsdienst kommt und die Kurse für EarthTrail nicht zuletzt auf der Datenbasis von Gefahrenberichten entwickelt hat, die aus dem Bundesministerium des Inneren und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz stammen.

Allein gelassen werden die Teilnehmer in den simulierten Krisen jedoch nicht: „Sie erhalten von uns Lehrinhalte und wir intervenieren, indem wir als Trainer punktuell auftauchen und die Reflexion in der Gruppe unterstützen“, klärt Dost auf. So lerne das Team, seine Gesamtsituation zu verbessern und mit den sich wandelnden Bedingungen besser klarzukommen. Ein reines Action-Event sind Urban Survival Trainings somit nicht.

Worum es geht: Reagieren lernen in Ausnahmesituationen

Doch warum setzen sich Menschen in ihrer Freizeit überhaupt freiwillig einem solchen, künstlichen Stress aus – und was lernen sie dabei? Immerhin kostet ein Urban Survival Training im Schnitt mehr als 600 Euro. „Der Freizeittrend resultiert in vielen Fällen aus einer latenten Furcht vor dem, was wir über die Medien an geopolitischer, wirtschaftlicher Entwicklung und Ereignissen so mitbekommen“, vermutet der Mainzer Justus Linnepe, der bereits bei der Bundeswehr, im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz als Zugführer aktiv war.

Bei seinem realen Einsatz im Rahmen der Ahrtal-Flutkatastrophe hat er u.a. die massiv gestörte Energie- und Wasserversorgung miterlebt. Durch Überflutung und zerstörte Infrastruktur kam es dort zum langanhaltenden, regionalen Stromausfall. „Die Betroffenen wurden größtenteils evakuiert. Wenig Schlaf, wenig Essen, ein bisschen Chaos“, erinnert er sich und resümiert im Rückblick: „Das war außerordentliches Teamwork. Ich habe noch nie so viel Motivation und Engagement erlebt.“

Ein Urban Survival Training wie das von EarthTrail würde er deshalb durchaus einmal ausprobieren und sieht Potenzial in dem Szenario-basierten Ansatz: „So lässt sich theoretisches und praktisches Wissen nachhaltig vermitteln, nebst den entsprechenden Fähigkeiten“, findet Linnepe. Neben dem Entertainment-Aspekt hält er jedoch auch die Vermittlung von medizinischem Wissen in solchen Kursen für essentiell. Anbieter wie Extac-Training oder die Capsarius-Akademie seien dafür gute Anlaufstellen, aber auch ein Ehrenamt, z.B. im Katastrophenschutz sei grundsätzlich sinnvoll und könne eine Win-Win-Situation darstellen.

Resilienz in Krisen – Das gehört alles dazu

Für EarthTrail-Gründer Christian Dost und sein 25-köpfiges Team geht es in erster Linie darum, der Zivilbevölkerung in seinen Trainings handfeste Erfahrungswerte zu vermitteln: „Sie entwickeln ein Verständnis dafür, wie wahrscheinlich welche Gefahrenlagen sind und welche wichtigen Schritte sie im Einzelnen jeweils unternehmen müssen“, resümiert er.

Die Teilnehmer lernten einerseits praktische Dinge, z.B. wo sie Notbrunnen finden, wie sie Wasser aufbereiten und sich vor Eindringlingen schützen – aber auch, was zu tun sei, wenn der Tunnelblick kommt: „Ist soviel Adrenalin im Körper, dass die Herzfrequenz hochgeht und kein Zugang zu den kognitiven Funktionen besteht, muss man wissen, wie man trotzdem logisch denkt und handlungsfähig bleibt.“

Dazu sei es hilfreich, wenn man unter Stress Erlerntes ins Körpergedächtnis bringen und auf diese Handlungsabläufe zurückgreifen könne. „Indem wir die Teilnehmer im kontrollierten Rahmen in Extremsituationen bringen, können wir nicht nur erleben, wie sie reagieren. Sie können auch eine Blaupause für echte Krisen entwickeln.“ Und das sei wichtig, denn „in einer Krise gelten anderen Regeln“, zieht Dost Bilanz.

„Einige suchen das Abenteuer, anderen wollen sich auf Krisen vorbereiten“

Die Motivation der Teilnehmer an Urban Survival Trainings ist Dost zufolge bunt gemischt: Einige kämen, um adäquates Verhalten in Ausnahmesituationen zu lernen, die Westeuropäer im Alltag nur bei Unfällen erlebten. Anderen mache es einfach Spaß, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich auf ein Abenteuer außerhalb des gewohnten Umfelds einzulassen. Wieder andere hätten bereits Kurse besucht und Gefallen daran gefunden.

Mitmachen könne grundsätzlich jeder ab 18 Jahren, der ausreichend gesund und psychisch stabil ist, erklärt Dost, gibt aber zu bedenken, dass pro Training erfahrungsgemäß immer einzelne Teilnehmer aussteigen: „Obwohl das Gehirn auf der Meta-Ebene weiß, dass es sich um eine Simulation handelt, erlebt es die Szenarien als real.“

 „Die antrainierten, sozialisierten Verhaltensweisen lösen sich“

Der 39-jährige Benjamin Wiedenbruch aus Stuttgart hat das Urban Survival Training bei EarthTrail bereits durchlaufen und daraus nachhaltige Erkenntnisse mitgenommen: „Der gesamte Kontext mit dem steigenden Bedrohungslevel legt frei, was im heutigen Alltag ansonsten kaum erfahren werden kann: Menschsein, unverblümt, organisch und ohne Ablenkung“, berichtet er: „Nach wenigen Tagen lösen sich viele der antrainierten, sozialisierten Verhaltensmuster – schlicht, weil die Teilnehmer keine Energie mehr haben, ihre gewohnten Rollen aufrechtzuerhalten. Es bleibt das unverfälschte, authentische Selbst.“

Psychologische Phänomene, die er beobachtet habe, seien beispielsweise die autonome Gruppenorganisation, natürliches Führen, Handeln unter hoher Ambiguität und Krisenkommunikation. Gleichzeitig wären auch Altruismus, selbstloses Handeln, selbstwirksame Handlungsfähigkeit und Leidensbereitschaft bei allen Teilnehmern angestiegen.

Auch wenn er einige negative Emotionen durchlebt hat – von starker Anspannung bis zu Angstmomenten – fühlt er sich um die neuen Erfahrungen bereichert. Panik und Verzweiflung habe er nicht erlebt. Der Krav Maga-Schulleiter empfiehlt das Training deshalb vor allem denjenigen, die ihre Grenzen austesten und etwas über sich und andere Menschen lernen wollen – aber genauso auch denjenigen, die in Teams oder Führungspositionen arbeiten.

QUELLE:TRT Deutsch
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