Internationale Ärzte, die in Gaza im Einsatz waren, berichten von einem beunruhigenden Muster an Schussverletzungen bei Kindern. Eine Recherche der niederländischen Tageszeitung „de Volkskrant“ legt nahe, dass es sich dabei um ein gezieltes Vorgehen des israelischen Militärs handeln könnte.
Die Zeitung sprach mit 17 Ärzten und einer Krankenschwester aus den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und den Niederlanden, die seit Oktober 2023 in insgesamt sechs Krankenhäusern und vier Kliniken in Gaza gearbeitet haben. Viele von ihnen verfügten zuvor über langjährige Erfahrungen in Krisengebieten wie Sudan, Afghanistan oder der Ukraine.
Dokumentiert wurden die Fälle zwischen Ende 2023 und Mitte 2025. Nach Angaben von 15 Ärzten wurden in dieser Zeitspanne mindestens 114 Kinder im Alter von höchstens 15 Jahren mit Schussverletzungen am Kopf oder an der Brust versorgt. Die meisten dieser Kinder starben an den Verletzungen.
Der US-Trauma-Chirurg Feroze Sidhwa berichtete von seinem ersten Arbeitstag im Europäischen Krankenhaus in Gaza im März 2024. Innerhalb von 48 Stunden seien dort vier Jungen unter zehn Jahren mit nahezu identischen Kopfschüssen eingeliefert worden, zitierte ihn die Zeitung. „Wie ist es möglich, dass in diesem kleinen Krankenhaus innerhalb von zwei Tagen vier Kinder eingeliefert werden, die alle in den Kopf geschossen wurden?“ fragte er. In den folgenden 13 Tagen habe er neun weitere Kinder mit ähnlichen Verletzungen gesehen.
Ein Kollege bestätigte ihm, dass er in einem anderen Krankenhaus „fast täglich“ vergleichbare Wunden behandelt habe. „In diesem Moment war mir klar: Ich muss herausfinden, was hier passiert“, sagte Sidhwa.
Moralisches Dilemma: Rückkehrverbot nach Gaza
Die Ärzte betonten, dass solche Verletzungen kaum zufällig entstehen könnten. Von „de Volkskrant“ konsultierte forensische Experten erklärten, das einheitliche Muster deute auf gezielten Beschuss hin – möglicherweise durch Scharfschützen oder Drohnen.
Die befragten Mediziner beschrieben auch das moralische Dilemma, in dem sie stehen: Wer solche Beobachtungen offen anspricht, riskiert ein Rückkehrverbot nach Gaza, das von Israel auferlegt wird. Nach Angaben der Vereinten Nationen verweigerte Israel seit März 2025 mehr als 100 internationalen Gesundheitsfachkräften die Einreise – ohne nähere Begründung.
Trotzdem wollen viele nicht länger schweigen. „Nicht zu reden ist keine Option mehr“, sagte einer der Ärzte der Zeitung.
Nach Angaben der Hilfsorganisation Save the Children hat Israel seit Beginn des Vernichtungskriegs gegen Gaza im Oktober 2023 mehr als 20.000 Kinder getötet.