Farid Hafez: Vom Islamophobie-Forscher zum Terrorverdächtigen
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Farid Hafez: Vom Islamophobie-Forscher zum TerrorverdächtigenHausdurchsuchung, eingefrorene Konten, zerstörter Ruf: Farid Hafez wurde in Österreich ohne stichhaltige Beweise zum Terrorverdächtigen gemacht. Heute spricht er von „psychologischer Kriegsführung“ und einer internationalen Kampagne.
Farid Hafez, Senior Researcher an der „Bridge Initiative“ der Georgetown University / Foto: Al Jazeera / Others
vor 14 Stunden

In den frühen Morgenstunden des 9. November 2020 wurde das Leben von Farid Hafez auf den Kopf gestellt. Zeitgleich um fünf Uhr morgens stürmten österreichische Spezialeinheiten gemeinsam mit Beamten des Innenministeriums mehr als 70 Wohnungen und Vereinsgebäude. Rund 950 Einsatzkräfte waren im Einsatz – einer der größten Anti-Terror-Einsätze der Zweiten Republik. Auch das Haus von Hafez, Senior Researcher an der „Bridge Initiative“ der Georgetown University, wurde durchsucht. „Uns wurde damals vorgehalten, Mitglied einer terroristischen, kriminellen und staatsfeindlichen Organisation zu sein – ohne dass wir Einsicht in die Akten hatten oder wussten, was uns konkret vorgeworfen wurde“, schildert Hafez im Gespräch mit TRT Deutsch.

Schnell stellte sich heraus, dass die Grundlage der Razzien auf einem Bericht zur Muslimbruderschaft beruhte, den der US-amerikanische Politologe Lorenzo Vidino 2017 für das österreichische Innenministerium erstellt hatte. Finanziert wurde die Studie durch den Integrationsfonds – eine der ÖVP nahestehende staatliche Einrichtung. „Schon damals war klar, dass Vidino eine zentrale Rolle spielte“, so Hafez. Was zu diesem Zeitpunkt aber niemand ahnte: Der Bericht war nicht nur ein wissenschaftlicher Auftrag, sondern Teil einer größeren internationalen Verflechtung.

Diese Dimension wurde erst Jahre später durch investigative Recherchen bekannt. 2023 enthüllte das US-Magazin The New Yorker, dass nicht allein Vidino, sondern auch die Schweizer Firma Alp Services sowie die Vereinigten Arabischen Emirate in die Vorgänge involviert waren. „Eine Schweizer Privatfirma erhielt mindestens 5,7 Millionen Euro. Die Leistung: Das Bild einer angeblichen Unterwanderung europäischer Gesellschaften durch die Muslimbruderschaft zu zeichnen“, erklärt Hafez. „Dabei wurden tausende Namen gesammelt, Netzwerke konstruiert – und im Fall Österreich stand diese Firma sogar in direktem Kontakt mit Personen aus dem Sicherheitsapparat. Sie informierte die Emirate noch vor der Razzia darüber, dass diese stattfinden würde.“

Die Ermittlungen gegen Hafez und dutzende weitere Betroffene stützten sich maßgeblich auf eine Studie zur Muslimbruderschaft, die 2017 vom Politologen Lorenzo Vidino im Auftrag des Innenministeriums erstellt und durch den Integrationsfonds finanziert worden war. „Schon damals war klar, dass Vidino eine zentrale Rolle spielte“, sagt Hafez im Gespräch mit TRT Deutsch. Später sei aber ans Licht gekommen, dass Vidino nicht nur als unabhängiger Wissenschaftler auftrat, sondern im Rahmen eines Vertrages mit der Schweizer Firma Alp Services tätig war. „In diesem Vertrag geht es ausdrücklich darum, Gerüchte über angebliche Muslimbrüder weiterzugeben“, betont Hafez. Für ihn ist dies der Beleg, dass es nicht bloß um eine innenpolitische Kampagne in Österreich ging, sondern um eine internationale Einflussnahme, bei der auch die Vereinigten Arabischen Emirate eine Rolle spielten.

Internationale Dimension und Klage

Die Folgen für Hafez persönlich waren gravierend. „Das Oberlandesgericht Graz stellte bereits nach sieben Monaten fest, dass es gar keinen Anfangsverdacht gegeben hat – also genau das, was juristisch überhaupt eine Razzia rechtfertigen würde. Trotzdem liefen die Ermittlungen weiter“, erklärt er. Für ihn sei die Operation Luxor daher weit mehr gewesen als ein Verfahren: „Das war psychologische Kriegsführung, wenn Familien um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und Kinder traumatisiert werden. Es war wirtschaftliche Kriegsführung, weil unsere Konten eingefroren und unser Eigentum beschlagnahmt wurde. Und es war politische Kriegsführung, weil mein Ruf in der Öffentlichkeit gezielt zerstört wurde.“

Der Preis für diese Erfahrung war hoch. Hafez sah sich gezwungen, Österreich zu verlassen und seine akademische Karriere im Ausland fortzusetzen. „Obwohl ich habilitiert war und an der Uni Salzburg tätig, war ein Weitermachen in Österreich unmöglich. Es blieb mir nichts anderes übrig, als in die USA zu gehen, um dort meine Arbeit fortzuführen“, sagt er.

Heute kämpft Hafez juristisch um Wiedergutmachung – allerdings nicht in Österreich, sondern in den Vereinigten Staaten. Gemeinsam mit seinen Anwälten reichte er eine Klage nach dem RICO-Gesetz ein, das eigentlich für organisierte Kriminalität geschaffen wurde. Der geforderte Schadenersatz: zehn Millionen Dollar. „Wir haben Schwarz auf Weiß genügend Beweismaterial. Es geht dabei nicht nur um den materiellen Verlust, sondern auch um die psychologischen Schäden und die Notwendigkeit, meine Heimat zu verlassen. All das ist in dieser Klage enthalten“, erklärt Hafez.

Operation Luxor als geopolitisches Machtspiel

Für Farid Hafez ist die Operation Luxor nicht nur ein persönliches Trauma, sondern ein politisch-juristischer Skandal. „Es gab keinen Anfangsverdacht, das hat das Oberlandesgericht Graz klar festgestellt. Dass es bis heute keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gibt, ist die beste Einladung für alle korrupten Staaten der Welt, ähnliche Methoden anzuwenden, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen“, sagt er im Gespräch mit TRT Deutsch.

Hafez sieht die Vorgänge im Kontext größerer geopolitischer Interessen. Im Zentrum stehe der Versuch der Vereinigten Arabischen Emirate, die Muslimbruderschaft international als Terrororganisation zu brandmarken – so wie sie es nach dem Arabischen Frühling im eigenen Land getan haben. „Das Ziel war, westliche Staaten für diese Agenda zu gewinnen. In den USA, in Großbritannien und letztlich auch in Österreich ist man damit gescheitert. Doch in den Emiraten wurde das Vorgehen medial gefeiert, als ob ein Verbot tatsächlich durchgesetzt worden wäre“, erklärt Hafez.

Aus seiner Sicht war die Operation Luxor daher auch ein „Spiel der politischen Kommunikation“, ein Versuch, Fakten zu schaffen, die in Wirklichkeit keine Grundlage hatten. Besonders problematisch sei, dass wirtschaftliche und politische Interessen ineinandergriffen. „Ehemalige Spitzenpolitiker wie Sebastian Kurz sind heute in Dubai aktiv. Das zeigt, wie eng wirtschaftliche und geopolitische Verflechtungen bei dieser Kampagne ineinandergreifen“, so Hafez.

Sein Fazit ist deutlich: „Es bräuchte einen Untersuchungsausschuss auf unterschiedlichen Ebenen. Doch Österreich ist kein Land, das gerne seine eigene Geschichte aufarbeitet.“

Instrumentalisierter Terrorismusbegriff

Der Fall Farid Hafez verdeutlicht, wie schnell selbst renommierte Wissenschaftler durch staatliche Ermittlungen existenziell geschädigt werden können. Besonders brisant: In den Ermittlungsakten wurde seine akademische Arbeit zur Islamophobieforschung als vermeintlicher Beleg für terroristische Aktivitäten angeführt. „Es wurde behauptet, meine Forschung sei Teil einer Strategie, ein weltweites Kalifat mit Jerusalem als Hauptstadt errichten zu wollen – eine vollkommen absurde Verschwörungstheorie“, schildert Hafez im Gespräch mit TRT Deutsch. Solche Konstruktionen, die auch auf Schriften von Lorenzo Vidino zurückgingen, seien sogar in Ermittlungsberichte der Sicherheitsbehörden und in richterliche Beschlüsse eingeflossen, bevor sie später für nichtig erklärt wurden.

Gesellschaftlich wirft der Fall Fragen nach gezielten Kampagnen und Islamophobie auf. Wenn Forschung zu Diskriminierung und antimuslimischem Rassismus kriminalisiert wird, bedeutet das für Hafez, dass der Terrorismusbegriff enorm ausgedehnt wird: „In Wirklichkeit ist dieser Begriff ein Mittel der Starken, um die Schwachen zum Schweigen zu bringen. Wenn wissenschaftliche Kritik plötzlich als Terror gewertet wird, dann zeigt das, dass dieser Begriff völlig nutzlos ist – außer für jene, die Macht ausüben.“

Auch international offenbart der Fall eine alarmierende Dimension. Hafez sieht in der Operation Luxor ein Beispiel für einen global orchestrierten Angriff auf kritische Stimmen: externe Akteure, internationale Netzwerke und geopolitische Interessen manifestieren sich in nationaler Politik, um unliebsame Positionen zu delegitimieren. „Wir erleben hier ein Muster, das es weltweit gibt: Der Terrorismusbegriff wird als Waffe genutzt – nicht für Gerechtigkeit, sondern um Dissens zu kriminalisieren“, warnt er.

Bei Promedia Verlag sind seine Memoiren unter dem Titel Wie ich zum Staatsfeind erklärt wurde. Die Operation Luxor und der Kreuzzug gegen den “politischen Islam” erschienen.

QUELLE:TRT Deutsch
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