POLITIK
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Deutschlands Nahostpolitik im Widerspruch zur öffentlichen Meinung
Immer mehr Länder erkennen Palästina an, darunter bald auch Frankreich und Großbritannien. Deutschland hält an seiner Linie fest und riskiert dabei einen innenpolitischen Vertrauensverlust, wie Forsa-Umfrage zeigt.
Deutschlands Nahostpolitik im Widerspruch zur öffentlichen Meinung
Deutschlands Nahostpolitik im Widerspruch zur öffentlichen Meinung. / Foto: David Hammersen/dpa
6. August 2025

Seit Jahrzehnten ist die deutsche Nahostpolitik von einem klaren Muster geprägt: Die Solidarität mit Israel gilt auch aus historischer Verantwortung als unerschütterlich. Doch die Welt um Deutschland herum verändert sich. Immer mehr Staaten erkennen Palästina als souveränen Staat an, und dieser Trend hat sich seit dem 7. Oktober 2023 noch einmal deutlich beschleunigt. Während sich andere europäische Demokratien auf eine Neuausrichtung ihrer Nahostpolitik zubewegen, bleibt Berlin bemerkenswert starr. Diese Haltung droht Deutschland außenpolitisch zu isolieren und steht zunehmend auch im Widerspruch zur Stimmung in der eigenen Bevölkerung.

Eine wachsende Zahl erkennt Palästina an

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben bislang 147 die palästinensische Staatlichkeit anerkannt. Das entspricht fast drei Vierteln der internationalen Gemeinschaft. Und die Dynamik nimmt zu. Seit dem 7. Oktober 2023 haben neun weitere Länder Palästina offiziell als Staat anerkannt, darunter auch mehrere europäische Staaten wie Irland, Norwegen, Spanien und Slowenien. Zuletzt kamen mit Armenien, Mexiko sowie Karibikstaaten wie Jamaika, Trinidad und Tobago, Barbados und den Bahamas neue Namen hinzu.

Doch besonders bedeutsam sind die Signale aus Paris und London. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte in der vergangenen Woche, dass sein Land bereit sei, Palästina als Staat anzuerkennen. Zwar stieß diese Ankündigung auf Widerstand, insbesondere aus Israel und den USA, doch sie zeigt den wachsenden Willen europäischer Staaten, die Zwei-Staaten-Lösung nicht länger nur rhetorisch zu bekräftigen, sondern auch politisch zu untermauern. Auch Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer kündigte an, im September bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen Palästina als Staat anzuerkennen, sollte Israel keine glaubhaften Schritte zur Deeskalation unternehmen.

Diese Entwicklungen markieren eine historische Zäsur und werfen ein grelles Licht auf die deutsche Zurückhaltung.

Deutschlands Stillstand birgt diplomatische Risiken

Während Frankreich und Großbritannien, beides zentrale europäische Akteure und langjährige Verbündete Deutschlands, sich auf eine veränderte Nahostpolitik vorbereiten, scheint Berlin in einer politischen Starre gefangen. Die Bundesregierung hält weiterhin an einer Linie fest, die einseitig auf die Sicherheit Israels fokussiert ist, ohne sichtbare Bemühungen, auch palästinensische Perspektiven ernsthaft in die eigene Außenpolitik zu integrieren.

Diese Haltung mag aus deutscher Sicht nachvollziehbar erscheinen. Die historische Verantwortung für den Holocaust hat die Beziehungen zu Israel zu einer moralischen Verpflichtung gemacht. Doch Politik darf nicht im moralischen Selbstgespräch verharren. Realpolitik bedeutet, Entwicklungen in der internationalen Staatengemeinschaft nüchtern zu analysieren und entsprechend zu handeln, zumal Deutschland Gefahr läuft, sich international zunehmend zu isolieren. Wenn Paris und London, bald vielleicht auch Kanada und Malta, Palästina als Staat anerkennen, steht Deutschland mit seiner starren Haltung plötzlich allein auf weiter Flur, und das nicht etwa unter Autokratien, sondern im Kreis westlicher Demokratien.

Die langfristigen Folgen einer solchen Isolierung könnten erheblich sein. Deutschlands Rolle als Vermittler im Nahen Osten würde massiv geschwächt. Seine Glaubwürdigkeit in multilateralen Foren würde infrage gestellt. Und seine außenpolitische Handlungsfähigkeit insgesamt könnte Schaden nehmen, gerade in einer Zeit, in der globale Konflikte eine klare, pragmatische und vermittelnde Stimme mehr denn je benötigen.

Auch innenpolitisch wächst der Druck

Nicht nur auf internationalem Parkett, auch im Inland wird der deutsche Kurs zunehmend hinterfragt. Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins stern zeigt: Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung fordert einen Kurswechsel in der Nahostpolitik. Konkret sprechen sich 74 Prozent der Befragten dafür aus, dass Deutschland mehr politischen Druck auf Israel ausübt, um ein Ende des Krieges zu erreichen. Nur 22 Prozent sind dagegen, vier Prozent wollten sich nicht äußern.

Auffällig ist, dass diese Haltung nicht nur bei den Wählenden der Linkspartei (94 Prozent Zustimmung) und der Grünen (88 Prozent) stark vertreten ist, sondern auch bei den Anhängerinnen und Anhängern der Regierungsparteien SPD und CDU/CSU, jeweils mit 77 Prozent Zustimmung. Der Wunsch nach einem aktiveren, kritischeren Umgang mit Israel ist also keine Frage der Parteizugehörigkeit, sondern ein gesamtgesellschaftliches Stimmungsbild.

Wenn die Bundesregierung diese Signale ignoriert, riskiert sie nicht nur einen außenpolitischen Reputationsverlust, sondern auch innenpolitische Glaubwürdigkeitsprobleme. Eine Demokratie lebt vom Dialog mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, nicht von dogmatischer Außenpolitik im historischen Schatten.

Die Anerkennung Palästinas als Staat ist längst kein radikaler Tabubruch mehr, sie ist eine realpolitische Notwendigkeit im Dienste des Friedens. Frankreich und Großbritannien haben das erkannt. Deutschland sollte nicht länger zögern. Denn wer heute in der Nahostpolitik allein bleibt, könnte morgen auch in anderen Fragen ohne Partner dastehen. Es ist Zeit, dass Berlin den moralischen Kompass mit der Realität der internationalen Politik abgleicht und endlich handelt.

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