In der antiken Stadt Samarkand, die seit Jahrhunderten als Kreuzungspunkt der Zivilisationen dient, entfaltete sich vergangene Woche ein neues Kapitel des „Großen Spiels“ des 21. Jahrhunderts. Erstmals in der Geschichte trafen sich die Staats- und Regierungschefs der fünf zentralasiatischen Republiken – Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan – mit der EU-Spitze im Rahmen eines bisher nie dagewesenen EU-Zentralasien-Gipfels. Die Region, die einst als entlegenes Randgebiet der Weltpolitik galt, hat sich heute zu einem Schauplatz intensiver geopolitischer Rivalitäten entwickelt, an dem sich die Interessen der führenden Weltmächte kreuzen.
Historischer Gipfel: Neue Chancen und verborgene Bedingungen
Am 3. und 4. April 2025 empfing Samarkand den Präsidenten des Europäischen Rates, António Costa, und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Die europäischen Führungspersönlichkeiten brachten ein großzügiges „Geschenk“ mit – ein Investitionspaket im Umfang von 12 Milliarden Euro zur Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur, zur Erschließung kritischer Rohstoffe, zur Förderung der Digitalisierung sowie zur Bewältigung der Wasser- und Energieprobleme der Region.
„Europa und Zentralasien haben beschlossen, unsere Zusammenarbeit auf die Ebene einer strategischen Partnerschaft zu heben. In einer unsicheren Welt senden wir ein klares und kraftvolles Signal: Wir sind bevorzugte Partner und können uns aufeinander verlassen“, erklärte Ursula von der Leyen auf dem Gipfel.
Der usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev, Gastgeber des Treffens, betonte die historische Bedeutung dieses Moments: „Unser Gipfel wird zu einer historischen Entscheidung zur Gründung einer strategischen Partnerschaft zwischen Zentralasien und der Europäischen Union führen. Ich bin überzeugt, dass unsere strategische Partnerschaft mit konkreten Entscheidungen, Projekten und Programmen gefüllt werden muss.“
Doch hinter der schönen Fassade diplomatischer Erklärungen verbargen sich harte Bedingungen, die die Länder der Region im Gegenzug für europäische Investitionen und Unterstützung zu akzeptieren gezwungen waren.
Der Preis europäischen Geldes: Welche Rolle spielt Zypern?
Einer der umstrittensten Punkte des Gipfels war die Aufnahme der Unterstützung für die Resolutionen 541 (1983) und 550 (1984) des UN-Sicherheitsrates in die gemeinsame Erklärung – beide lehnen die Anerkennung der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) ab.
Es sei daran erinnert, dass Türkiye in den letzten Jahren aktiv Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern über die Organisation der Turkstaaten aufgebaut hat und diese als natürliche Verbündete betrachtet. Vor diesem Hintergrund sorgte die Entscheidung der zentralasiatischen Länder für ernsthafte Verwunderung bei Beobachtern. Obwohl die TRNZ in der Organisation der Turkstaaten Beobachterstatus hat, unterstützten drei zentrale Mitglieder dieser Organisation – Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan – nicht nur die EU-Position zur Zypernfrage, sondern intensivierten zudem ihre diplomatischen Beziehungen zum griechischen Teil der Insel, indem sie dort Botschafter einsetzten.
Der Präsident der TRNZ, Ersin Tatar, rief die turksprachigen Staaten zur Vorsicht im Umgang mit den griechischen Zyprioten auf. In seinen Augen zielt die jüngste Vereinbarung zwischen der EU und den turksprachigen Staaten darauf ab, die TRNZ zu isolieren. „Die turksprachigen Staaten müssen wachsam bleiben – das Spiel, das die griechische Seite betreibt, ist unmenschlich“, warnte Tatar und forderte eine gerechte Behandlung beider Teile der Insel.
Der Verkehrsminister der TRNZ und Vorsitzende der Wiederbelebungspartei, Erhan Erikchi, zeigte sich in einem türkischen Fernsehsender enttäuscht: „Wir können es nicht akzeptieren, dass die turksprachigen Republiken, die wir als Freunde und Brüder betrachten, auf der Seite der griechischen Zyprioten Botschaften eröffnen und dabei die TRNZ ignorieren – ein Land mit Beobachterstatus in der Organisation der Turkstaaten.“
Bemerkenswert ist, dass Aserbaidschan das einzige Mitglied der Organisation der Turkstaaten bleibt, das das Recht der türkischen Zyprioten auf einen eigenen unabhängigen Staat entschieden verteidigt. Präsident Ilham Aliyev erklärte unmissverständlich bei einem internationalen Forum an der ADA-Universität in Baku: „Unsere Brüder in Nordzypern haben keinen Zweifel daran, dass wir bis zum Ende zu ihnen stehen werden – bis ein unabhängiger Staat gegründet ist.“
Zentralasien im Fokus globaler Aufmerksamkeit
Das Interesse an Zentralasien wurde in den letzten Monaten nicht nur von europäischen Akteuren bekundet. Nur wenige Tage nach dem Gipfel in Samarkand besuchte Usbekistans Außenminister Baxtiyor Saidov Washington, wo er mit US-Außenminister Marco Rubio Gespräche führte.
„Ein starker Partner im Kampf gegen illegale Migration und Terrorismus. Zwischen unseren Ländern bestehen große Investitionsmöglichkeiten sowie Kooperationspotenzial im Bereich kritischer Rohstoffe und anderer Sektoren“, beschrieb Rubio seinen usbekischen Amtskollegen im sozialen Netzwerk X.
Bemerkenswert ist auch, dass bereits vor dem EU-Gipfel hochrangige israelische Vertreter Zentralasien besuchten. Der Sprecher der Knesset, Amir Ohana, unternahm einen beispiellosen Besuch in Usbekistan und Kasachstan – es war das erste Mal überhaupt, dass der Vorsitzende des israelischen Parlaments diese Länder bereiste.
In Kasachstan wurde Ohana auf höchster Ebene empfangen – unter anderem durch ein Treffen mit Präsident Kassym-Jomart Tokajew. Im Zentrum der Gespräche stand die wirtschaftliche Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich Wasserressourcen.
Warum wollen alle mit Zentralasien befreundet sein?
Der rasante Anstieg des Interesses an der Region lässt sich durch mehrere Schlüsselfaktoren erklären, die Zentralasien von einem Randgebiet der Weltpolitik zu einem ihrer vielversprechendsten Schauplätze machen.
Erstens verfügt die Region über enorme natürliche Ressourcen – von Kohlenwasserstoffen bis hin zu seltenen Erden, die für moderne Technologien unerlässlich sind. Während Europa seine Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren will und die USA sowie China um die Kontrolle über die Versorgungsketten kritischer Rohstoffe für Hochtechnologieindustrien konkurrieren, gewinnen die Ressourcen Zentralasiens strategische Bedeutung.
Zweitens macht die geographische Lage der Region an den Schnittpunkten von Transportkorridoren zwischen Asien und Europa sie zu einem entscheidenden Bindeglied für neue Handelsrouten. Die Europäische Union treibt aktiv die Entwicklung des Transkaspischen Internationalen Transportkorridors voran, der die Lieferzeit von Gütern zwischen der EU und Zentralasien auf 15 Tage verkürzen soll – unter Umgehung Russlands.
Es scheint, als versuche die EU nun in hektischem Tempo, ihre jahrelange Vernachlässigung der Region aufzuholen – ein Eingeständnis der strategischen Rolle Zentralasiens in den entstehenden globalen Lieferketten und Logistiknetzwerken.
Drittens hat der Ukraine-Krieg zu einer Schwächung der russischen Position in der Region geführt, wodurch ein geopolitisches Vakuum entstanden ist, das andere globale Akteure zu füllen versuchen. Die US-Regierung unter Trump, die EU und China konkurrieren aktiv um Einfluss in Ländern, die jahrzehntelang als Teil der russischen Einflusssphäre galten.
Das neue „Große Spiel“ und regionale Perspektiven
Die heutige Lage erinnert in mancher Hinsicht an das „Große Spiel“ des 19. Jahrhunderts, als das Russische und das Britische Imperium um Einfluss in Zentralasien kämpften. Die moderne Version dieses geopolitischen Wettstreits ist jedoch wesentlich komplexer – heute sind nicht nur zwei, sondern mehrere Großmächte involviert, und die zentralasiatischen Staaten selbst sind längst keine passiven Objekte der Weltpolitik mehr.
Das kürzlich unterzeichnete trilaterale Abkommen zwischen Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan über die gegenseitige Anerkennung ihrer Grenzen, das am 31. März in der tadschikischen Stadt Chudschand geschlossen wurde, zeigt die zunehmende Fähigkeit der Länder der Region, langjährige Probleme eigenständig und ohne externe Vermittlung zu lösen. Dieses Abkommen, auf das die Länder drei Jahrzehnte hingearbeitet haben, markiert eine neue Phase der regionalen Zusammenarbeit.
Die zentralasiatischen Staaten verfolgen zunehmend eine sogenannte „multivektorale“ Außenpolitik und streben danach, möglichst viele Vorteile aus der Zusammenarbeit mit verschiedenen globalen Akteuren zu ziehen. Die Aufwertung der Partnerschaft mit der EU kann als Versuch gesehen werden, das Gewicht einzelner Großmächte auszugleichen.
Wie jedoch der Umgang mit den UN-Resolutionen zur Zypernfrage gezeigt hat, kann eine solche Politik auch ernsthaften Schaden in den Beziehungen zu historischen und kulturellen Verbündeten anrichten – zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Vorteile. Durch ihre Unterstützung der EU-Position zur Zypernfrage haben Länder, die noch vor Kurzem die Bedeutung türkischer Einigkeit betonten, die Interessen ihrer traditionellen Partner in den Hintergrund gedrängt.
Wie geht es weiter?
Die Unterstützung der UN-Resolutionen zur Zypernfrage durch die zentralasiatischen Länder zeigt deutlich: In der heutigen Welt überwiegen oft wirtschaftliche Interessen gegenüber historischen, kulturellen und sogar zivilisatorischen Bindungen. Die Aussicht auf zwölf Milliarden Euro an europäischen Investitionen scheint maßgeblich dazu beigetragen zu haben, dass sich die turksprachigen Staaten in einer sensiblen politischen Frage kompromissbereit zeigten.
Langfristig jedoch könnte sich eine solche Politik für die zentralasiatischen Staaten als riskant erweisen. Heute erhalten sie europäische Investitionen und Unterstützung, morgen vielleicht amerikanische Technologien und israelisches Know-how. Gleichzeitig hat der Ukraine-Krieg deutlich gemacht, wie unbeständig europäische Partnerschaften sein können. Auch bei den USA besteht bei einem Regierungswechsel stets das Risiko, dass langjährige Zusagen neu bewertet werden.
Türkiye hingegen hat historisch stets Konsistenz in seiner Unterstützung für die turksprachigen Staaten bewiesen – getragen nicht nur von wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch von tiefen zivilisatorischen Verbindungen. Ob es klug war, diese Beziehungen für kurzfristige Vorteile aufs Spiel zu setzen, wird erst die Zeit zeigen.
Was Nordzypern betrifft, so ist der Kampf um die internationale Anerkennung der TRNZ trotz der diplomatischen Manöver der zentralasiatischen Staaten noch lange nicht vorbei. Die kulturellen, historischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den turksprachigen Völkern sind zu tief verwurzelt, um durch opportunistische politische Entscheidungen zerschlagen zu werden. Die klare Haltung Aserbaidschans zeigt, dass die Idee der türkischen Solidarität weiterhin lebendig ist.
Letztlich wird das geopolitische Spiel um Zentralasien weitergehen. Das altehrwürdige Samarkand, das im Laufe seiner Geschichte zahlreiche Reiche und Zivilisationen erlebt hat, ist erneut Zeuge einer neuen Phase des „Großen Spiels“. Doch wie die Geschichte lehrt, gewinnt nicht derjenige, der am meisten Geld bietet, sondern derjenige, der es versteht, vertrauensvolle und nachhaltige Beziehungen aufzubauen – auf der Grundlage gegenseitigen Respekts, gemeinsamer Werte und historischer Bindungen.