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Die nicht mehr zu übersehende Tragödie in Palästina
Die Entscheidung von Kanzler Merz, Waffenexporte an Israel zu begrenzen, markiert einen Wendepunkt in der deutschen Politik. Selbst in Berlin bröckelt die einst bedingungslose Unterstützung für Israels Kurs in Gaza.
Die nicht mehr zu übersehende Tragödie in Palästina
Israel, 12.02.2024: Friedrich Merz (CDU) trifft den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. / Photo: DPA (dpa) / TRT Deutsch
vor 6 Stunden

Die humanitäre Katastrophe in Palästina steht längst im grellen Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit, und es wird von Tag zu Tag schwerer, diese Realität zu ignorieren. Die Zerstörung im Gazastreifen ist längst nicht mehr nur eine regionale Krise, sondern eine globale Prüfung des moralischen Gewissens. Persönlichkeiten von Weltrang, die einst schwiegen, erheben nun ihre Stimmen. Zuletzt forderte Madonna den Papst auf, Gaza zu besuchen, „bevor es zu spät ist“. Selbst in der westlichen Welt verlangen führende Politiker inzwischen ein Ende der israelischen Angriffe sowie ein Ende des Hungers und der humanitären Katastrophe in Palästina. Diese Forderungen sind aus der rein politischen Rhetorik herausgetreten und haben sich in konkrete diplomatische Schritte verwandelt.

Von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben inzwischen 147 Palästina offiziell anerkannt – das entspricht fast drei Vierteln der internationalen Gemeinschaft. Und die Zahl wächst rasant. Seit dem 7. Oktober 2023 haben sich unter anderem europäische Länder wie Irland, Norwegen, Spanien und Slowenien angeschlossen, ebenso Armenien, Mexiko, Jamaika, Trinidad und Tobago, Barbados und die Bahamas. Besonders bemerkenswert sind jedoch die jüngsten Ankündigungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des britischen Premierministers Keir Starmer. Macron erklärte, Frankreich sei bereit, Palästina anzuerkennen, während Starmer ankündigte, bei der UN-Generalversammlung im September diesen Schritt zu gehen, sollte Israel keine glaubwürdigen Schritte zur Deeskalation unternehmen. Zum ersten Mal seit Jahren wird die Vision einer Zwei-Staaten-Lösung nicht nur bekräftigt, sondern ernsthaft politisch untermauert.

Inmitten dieses internationalen Wandels drohte Deutschland lange Zeit zu den wenigen westlichen Staaten zu gehören, die Israel weiterhin bedingungslos unterstützen – und damit in der globalen Diplomatie zu isolieren. Doch in den vergangenen Wochen sind bemerkenswerte Brüche in dieser Linie sichtbar geworden.

Merz’ Entscheidung: Debatte um die Staatsräson

Die Entscheidung von Bundeskanzler Friedrich Merz, den Waffenexport nach Israel einzuschränken, markiert einen Wendepunkt in der deutschen Außenpolitik. Seit Jahrzehnten gilt im Rahmen der „Staatsräson“ die Sicherheit Israels als unantastbares Prinzip deutscher Politik. Doch Merz’ Entscheidung, unter Berufung auf den „Plan der israelischen Regierung, den Gazastreifen zu besetzen“, die Rüstungsexporte zu begrenzen, zeigt, dass die Grenzen dieses Prinzips erstmals konkret ausgelotet werden.

Merz wählte deutliche Worte: „Wir können nicht Waffen liefern in einen Konflikt, der versucht wird, ausschließlich mit militärischen Mitteln jetzt gelöst zu werden“, sagte er der ARD, „der Hunderttausende von zivilen Opfern fordern könnte. Der eine Evakuierung der ganzen Stadt Gaza zur Voraussetzung hat. Wohin sollen diese Menschen gehen? Das können wir nicht, das tun wir und das werde ich auch nicht tun.“ Diese Worte fanden nicht nur innenpolitisch, sondern auch international Widerhall. Der Kanzler betonte, dass die Freundschaft zu Israel nicht bedeute, jede Entscheidung der israelischen Regierung zu unterstützen.

Die Entscheidung löste innerhalb von CDU und CSU heftige Debatten aus. Einige Parteimitglieder sehen darin einen „historischen Bruch“, während Historiker und Politikwissenschaftler sie als mit den deutschen Werten vereinbar und langfristig sicherheitsfördernd bewerten. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann erklärte, wer für die Sicherheit Israels sei, könne nicht für eine vollständige militärische Eroberung Gazas sein.

Berlin ließ sich dabei nicht nur von Prinzipien leiten, sondern auch von der Realität vor Ort. Trotz wiederholter Zusagen der israelischen Regierung, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen, habe sich dies kaum materialisiert. Stattdessen wurden die militärischen Operationen ausgeweitet – ein Umstand, der die moralische und strategische Rechtfertigung für Waffenlieferungen infrage stellte.

Veränderungen in der öffentlichen Meinung

Vor diesem Hintergrund liefert der im Juni 2025 veröffentlichte ARD-DeutschlandTREND ein aufschlussreiches Bild des Meinungswandels in Deutschland. Im Rahmen der Umfrage plädierten rund 43 Prozent für eine Begrenzung deutscher Waffenexporte an Israel.

Die parteipolitische Aufschlüsselung zeigt noch deutlichere Unterschiede: Unter den Wählern von CDU/CSU liegt der Anteil derjenigen, die den Waffenexport einschränken wollen, bei 44 Prozent. Bei SPD-Anhängern befürworten 57 Prozent eine Begrenzung, bei den Grünen sogar 64 Prozent. Die Anhänger der Linkspartei sind fast gleichmäßig gespalten zwischen Begrenzung (39 Prozent) und vollständigem Stopp (44 Prozent). Überraschend ist das Ergebnis bei der AfD: 53 Prozent ihrer Wähler sprechen sich für einen vollständigen Stopp der Waffenexporte aus – ein Indiz dafür, dass selbst im rechtspopulistischen Lager die israelische Strategie in Gaza auf Skepsis stößt.

Diese Zahlen belegen, dass es in Deutschland längst keine einheitliche Haltung zu Israel mehr gibt. Das Thema Waffenexporte überschreitet ideologische Grenzen und findet in verschiedenen politischen Lagern unterschiedliche, aber oft kritische Resonanz. Besonders die hohen Werte für eine Begrenzung bei Grünen und SPD zeigen, dass das Zentrum-Links-Spektrum deutlich kritischer geworden ist, während die AfD-Zahlen belegen, dass auch die Rechte nicht unberührt bleibt.

Deutschland befindet sich in einer Phase, in der die traditionelle, reflexartige Haltung zur Palästina nicht mehr trägt. Während ein Großteil der internationalen Gemeinschaft Palästina anerkennt und selbst in europäischen Hauptstädten die bedingungslose Unterstützung Israels infrage gestellt wird, ist Berlin gezwungen, seine politische Linie neu zu definieren. Die Begrenzung der Waffenexporte könnte sich als mehr erweisen als nur ein außenpolitisches Manöver – sie könnte als Ausdruck des Versuchs in die Geschichte eingehen, deutsche Politik mit den eigenen Werten und den veränderten globalen Realitäten in Einklang zu bringen.

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